Vereinbarungen brechen [1]

Vereinbarungen brechen [1]
1966 hatte der Vater von Edu mit dreizehn bei Onkel Erwin im Konzern als Lehrling angefangen. Brav hatte er sich innerhalb der Firma hochgearbeitet. Während des Studiums war er als Werksstudent angestellt. Die Projekte und die Internationalisierung ließen ihn durch die Welt reisen. Mit siebenundfünfzig verlässt er das Unternehmen als Abteilungsleiter mit einer entsprechenden Abfindung in den Vorruhestand. „Finanziell ist das eine runde Sache!“ wiederholt er fortwährend mit zufriedenem Gesicht. „Und es bleibt immer Energie, Lust und Zeit, etwas Neues anzufangen.“

In den Achtzigern, als Edu zur Schule ging, war dieser Lebenslauf seines Vaters altbacken und angestaubt. Karriere ging damals anders: In den ersten drei Anstellungen nicht länger als vier Jahre verweilen, mit jedem Jobwechsel einen anderen Arbeitgeber oder zumindest ein weiteres Geschäftsfeld kennen lernen und stetig die Karriereleiter erklimmen. Das Wirtschaftswunder war umgesetzt. Edu brauchte keinen Onkel Erwin mehr, der einen kannte, bei dem Papa ein gutes Wort einlegte, der einem die Chance des Lebens gab. Es war die Zeit in der alle Türen offen standen, für jede und jeden. Nie waren soziale Unterschiede kleiner, wenn es um Ausbildung und Arbeit ging. Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger wurde fast jeder etwas. Der verlässliche Plan hieß: Schule, Ausbildung, Studium und dann ein guter Job, mit gutem Einkommen und Zeit für Karriere, Familie und Hobbys – ein idyllisch spießiges Leben.
Kaum war die zweite Hälfte der neunziger Jahre angebrochen, erodierten diese guten Aussichten auf ein ruhiges, gesellschaftlich anerkanntes und sicheres Leben. Nicht einmal zwei Generationen nach Papa und Onkel Erwin ist eine planbare Zukunft verträumtes Wunschdenken und nur noch im ZDF-Sonntagsfilm für heillose Romantiker und Rentner ein akzeptiertes Weltbild.
Dieser Wandel verlief anfangs fast unbemerkt, nun wird umso klarer: Die Beschaulichkeit der Nach-Wirtschaftswunder-Wohlstands-Zeit, gestützt durch stetige Wachstumsraten, ist vorbei.

Mit dieser Zeit verabschiedet sich allerdings nicht nur ein unwirklich weltfremdes Bild der Arbeitswelt. Es platzt nicht nur eine Seifenblase. Nein. Es implodiert ein Universum. Allerdings passiert das ohne Aufhebens wie Krach, Gestank oder Rauch. Und glauben Sie es oder nicht, ich finde das gut.

Unausgesprochene Vereinbarungen, auf denen unsere Arbeitswelt aufbaute, werden einseitig gelöst. Prinzipien sind sang- und klanglos verschwunden. Prinzipien, die Menschen aus meiner Generation in ihrer Erziehung als Grundpfeiler der Arbeitswelt und -ethik aufgenommen haben – häufig ohne es zu merken. Sie finden sich in plakativen altväterlichen Sprüchen wie: „Wer Arbeit will auch eine kriegt!“ Oder in Politiker-Beschwörungen über alle Parteien hinweg à la: „Zentrale Aufgabe der Politik muss es sein, auch in Zukunft Rahmenbedingungen für sichere Arbeitsplätze zu schaffen.“ Auch der Ausspruch: „Leistung muss sich lohnen!“ gehört dazu. Und die Hoffnungsbotschaft: „Wir müssen die Menschen in Beschäftigung bringen, dann lösen sich die gesellschaftlichen Probleme.“ Sie alle wehren sich verzweifelt – ich frage mich wogegen? Vielleicht einfach gegen eine unvermeidliche Entwicklung?

Arbeit ist turbulent geworden. Und damit sind nicht nur Arbeitsinhalte gemeint. Spätestens seit der Bankenkrise ist allen klar: Es ist nicht sicher, ob meine Firma morgen noch existiert. Doch das ist keine Krisenfrage. Dr. Andreas Zeuch hat Anfang 2009 in seinem Vortrag »Der Bauch des Unternehmers« auf verschiedene Studien verwiesen. Sie zeigen uns, die Lebensdauer von Unternehmen sinkt. Gab es 1932 noch die Gewissheit: „Wir können unser ganzes Leben bei einem Arbeitgeber verbringen“ – in den Dreißigern wurden Unternehmen nämlich im Schnitt fünfundsiebzig Jahre alt, so ist das heute ein frommer Wunsch, werden Unternehmen gerade noch fünfzehn Jahre alt (Zahlen aus den Jahren 1995 bis 2005). Vergessen Sie also die Ankündigung, Ihr Arbeitgeber könne gute Leistung mit einem sichern Arbeitsplatz belohnen. Selbst wenn er noch so sehr will, er kann das nur im Ausnahmefall.

6 Kommentare

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6 Antworten zu “Vereinbarungen brechen [1]

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  2. Matthias

    Es gibt doch immer zwei Seiten einer Medallie…bisher hab ich nur von einer gelesen…in der Wohlstandsgesellschaft wurde/wird der „Schatten“immer schön unterdrückt…auf einer Bildhaften Ebene könnten wir sagen der Har(t)z ist immer mitten in unserem schönen Land,ob ich es nun von Süden,Osten,Westen oder Norden betrachte obwohl er vor 1989 ganz kalr weiter im Osten zu finden war…meiner erachtens eher eine Affenschade…ca.80 Millionen Versuchskaninchen zu halten.

    so mal das was ich nicht weis aber gern (nicht immer)jeden Tag erfahre

    Vielen Dank für ihr Engagement

    Matthias

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  5. Und ich muss gleich nochmal posten, passt es doch so schön hier hinein, geht es doch um die Ethik der Mitte und nicht die ausgereizte Grenze: http://www.omnisophie.com/day_138.html

  6. Ja, den Wandel kann ich nachvollziehen. Mein Vater hat nach seiner Lehre nur in einer Firma bis zu seiner Rente gearbeitet. Die kleine Firma, bei der ich nach der Uni beschäftigt war und damals 36 Mitarbeiter hatte, ging nach 17 Jahren in die Insolvenz, existiert in anderer Form nach einer weiteren Insolvenz zumindest noch.
    Die nächste Firma wurde mit 800 Mitarbeitern gekauft und ging dann 3 Jahre später zusammen mit der Mutter in die Insolvenz. Einige Filetstücke existieren in anderen Firmen aber auch weiter.
    Und dass es in den Jahren nach der Wende mit unserer gesellschaftlichen Kultur immer weiter den Bach runtergeht, hatte ich intuitiv vor einiger Zeit auch gepostet: http://faszinationmensch.wordpress.com/2011/01/13/keine-gute-kultur-sagt-mir-meine-intuition-konstante-arbeitslosenzahl-zocken-mit-geld-hungern-durch-fleisch-riskante-grosprojekte/
    Ich bin sehr gespannt auf die Fortsetzung. Immer auch der Suche nach einer besseren Welt.

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