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Was bleibt

Edu kannte das Klagelied der „kleinen Leute“. Nicht zum ersten Mal war er in einem Beratungsprojekt mit dem Unwillen der Belegschaft konfrontiert. Heute hatte er sich mit Igor getroffen, einem angelernten Mitarbeiter aus der Produktion. Igor konnte und wollte seine weißrussische Herkunft nicht verbergen. Ein bulliger, untersetzter Körperbau mit viel sichtbarer Kraft überall dort, wo sie nicht von seiner Arbeitskleidung kaschiert wurde. Sein durchaus gutes Deutsch hatte eine starken Ostblock-Akzent, mit dem Igor dann und wann kokettierte. Die stahlblauen Augen, mit denen er einen immer direkt ansah, unterstrichen das Vorurteil, einem listigen Trickbetrüger gegenüber zu sitzen, der nur nach der nächstbesten Möglichkeit suchte, einen über den Tisch zu ziehen. Dieser Eindruck widersprach vollständig der Empfehlung von Arnd, Igors Vorgesetztem, aufgrund derer Edu und Igor sich vor einigen Wochen kennen gelernt hatten. Edu wollte im Rahmen des Veränderungsprojektes ungeschminkte Meinungen von der Belegschaft zu hören bekommen und Arnd vereinbarte daraufhin einen Termin mit Igor. Edu hatte er zur Vorbereitung mitgegeben: „Ich vertraue ihm darin, dass er zutiefst für die Firma mitdenkt und genau deshalb kein Blatt vor den Mund nimmt. Bei den Kollegen ist er schon als Nörgler und Querulant verschrien, ich unterhalte mich trotzdem oder gerade deshalb gerne mit ihm.“ Beim heutigen Treffen, um das Igor angefragt hatte, war einfach nur Wut zu spüren. Wie so oft waren Entscheidungen über die Köpfe der Belegschaft hinweg getroffen worden, und Igor war beleidigt, weil er dachte, durch die zwei Gespräche mit dem Berater wäre er zu etwas Besonderem geworden, wäre sozusagen aufgestiegen. Zum Einstieg des Gesprächs hatte er Edu genau das vorgeworfen: „Was verschwende ich Zeit mit Dir, wenn mich dann keiner hört?“ Edu hatte als Reaktion nachgefragt, was passiert sei, denn er selbst war auch nicht informiert. Igor erklärte ihm, wie der Geschäftsführer und Arnd kurzerhand die Organisation der Produktion umgestellt und ihn dabei übergangen hatten. Er schimpfte wütend über die Vorgesetzten-Kanaille und womit sie eigentlich ihre Gehälter rechtfertigten würden, vor allen anderen der oberste Chef, den man nie sähe, der nie erreichbar sei, der auf den Betriebsfeiern schöne Reden schwänge und sich ansonsten auf öffentlichen Anlässen durchfuttere.

Igor war ganz schön geladen, als Edu ihn mit einem Trick in die Sachlichkeit zurück brachte. Ganz konkrete Fragen stellen, die am besten noch das Nachdenken über Zahlen beinhalteten, wie etwa Rechenaufgaben. Edu frage: „Wie hoch müsste Dein Monatslohn sein, damit Du vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr von der Firma angerufen und eingespannt werden kannst?“ Igors Augen verengten sich, es war klar, dass er versuchte herauszufinden, worauf Edu hinaus wollte. Dieser setzte nach: „Nicht lange nachdenken, ganz spontan, wie viel müssten sie dir bezahlen?“

Haut, Haare und die Seele als Sahnehäubchen

Firmen haben im Bezug auf Führungskräfte und Manager mehr Zugriffsrechte auf den Menschen, als das bei der weiten Mehrheit der Mitarbeiter der Fall ist. Erinnern Sie sich an den Abschnitt des Arbeitsvertrages in Kapitel zwei, in denen die Führungskräfte ihre Überstunden bereits mit dem Gehalt ausgeglichen bekommen haben. In diesem Punkt haben Gewerkschaften tatsächlich einiges erreicht. Von der gesetzlich verankerten Sechs-Tage- und Achtundvierzig-Stunden-Woche ist die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten weit entfernt. Natürlich gibt es neben den Führungskräften auch Spezialisten, die verschärfte Arbeitszeiten haben, viele von ihnen, würden sie darüber aufgeschlossen reflektieren, müssten zugeben, es auch gar nicht anders zu wollen. Und die allermeisten von denen, die überdurchschnittlichen Zeiteinsatz erbringen, werden auch über dem Durchschnitt bezahlt. Bei Lohnarbeitern ist das normalerweise vertraglich geregelt, so werden Überstunden, Wochenendarbeit und Schichtbetrieb als Abweichungen von der Standardarbeitszeit auch gesondert vergütet.

Ein triftiger und verständlicher Grund für das überdurchschnittliche Einkommen von Führungskräften ist die Willkürlichkeit, mit der die Firma in das Leben des Managers eingreifen kann. Bei einem Geschäftsführer ist diese Willkür praktisch grenzenlos und so passt auch Igors Antwort auf Edus Frage: „Eigentlich kann man mir das überhaupt nicht bezahlen!“

Entschließt sich ein Unternehmen, dass es auf die Einteilung des Lebens von Führungskräften, Managern und Spezialisten einen verstärkten Einfluss haben möchte, so ist ein höheres Einkommen für diese Führungskräfte gerechtfertigt. Natürlich kann dieser Unterschied nicht so groß sein, dass er das wirtschaftliche Wohl des Unternehmens gefährdet. Einen Unterschied zu machen, ist hier trotzdem sicherlich angebracht.

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Wenn alle Arbeit haben ist alles gut [2]

Eine spannende These – gehen die brauchbaren Zahlen des Statistischen Bundesamtes doch, wie vorhin schon erwähnt, bis an die Anfänge der achtziger Jahre, genauer in das schöne Jahr Einundachtzig zurück, als die Welt noch in Ordnung war. Aber was sagen die Zahlen genau? Zuerst einmal beschreiben sie das Verhältnis zwischen den Erwerbspersonengruppen. Es waren damals nicht einmal vier Prozent Erwerbslose, also über sechsundneunzig Prozent Erwerbstätige – Vollbeschäftigung! Doch was sagen die Gesamtzahlen aus? Ob Sie es glauben oder nicht: Im Jahr Einundachtzig waren es siebenundfünfzig Prozent der Menschen im Bundesgebiet, die grundsätzlich keinem Erwerb nachgingen oder gerade einen suchten und deshalb keinen hatten. Also unter Vollbeschäftigung haben wir in Wahrheit mehr Menschen mit durchgeschleppt als heute. Schaut man sich die Zahlen über die Jahre hinweg an, stellt man fest: Die Quote derer, die gerade keinem Erwerb nachgehen, liegt immer zwischen vierundfünfzig und siebenundfünfzig Prozent der Menschen, die ihren Wohnsitz im Bundesgebiet haben.

Trotzdem werden Erwerbslose, Rentner, Hausfrauen, Halbstarke oder irgendwelche Menschen, die keinem Erwerb nachgehen, als Drückeberger, Last oder – noch schwerwiegender – Parasiten und Schmarotzer hingestellt. Dabei sind zwei Dinge zu beachten: Erstens in den letzten dreißig Jahren war das Verhältnis dieser Menschen zur Gesamtbevölkerung in Deutschland immer annähernd gleich, in wirtschaftlich guten Zeiten sogar eher etwas höher als in wirtschaftlich schlechten. Und zweitens, was noch viel wichtiger ist: Die weite Mehrheit dieser Menschen macht sinnvolle Arbeit. Sie erziehen Kinder, betreuen Eltern, bilden sich aus, halten ihren Ehepartnern den Rücken frei, sind ehrenamtlich tätig, helfen in Tafeln oder erklären ihren Schulkameraden Mathe. Sie sind nicht einfach nur beschäftigt, abhängig oder unabhängig, sie gehen wahrscheinlich einer erfüllenden und sinnvollen Arbeit nach.

Doch schauen wir ohne Ironie darauf, was sich seit Anfang der achtziger Jahre im Bezug auf Beschäftigung verändert hat. Im Verhältnis ist es offensichtlich nicht die Anzahl der Menschen, die von den Erwerbstätigen mit durchgefüttert werden. Stattdessen ist es wohl der Anspruch an die Erwerbstätigkeit selbst, der sich verändert hat. Eine These: Den Erwerbstätigen geht es gegen den Strich, dass sie die Maloche machen müssen, während eine beträchtliche Anzahl von Menschen Sinnvolleres mit ihrer Zeit anfängt. Augenscheinlich zu Lasten der überarbeiteten Erwerbstätigen. Oder anders gesagt: Papa hat die Schnauze voll davon, dass die Halbstarken und frühreifen Gören das schwer verdiente Geld in Konsum-Schnickschnack wie immer neuen Handymodellen, SMS-Orgien, Computerspielen oder mp3-Playern zum Fenster raus werfen.

Die Studie von Dr. Andreas Knabe aus dem Jahr 2009 „Dissatisfied with life, but having a good day“  zeigt Indizien für die Richtigkeit meiner These. Sie kommt zum Ergebnis: Angestellte sind zwar mit ihrem Leben als Ganzes zufriedner als Arbeitslose, unterteilt man allerdings den Arbeitstag in Arbeits- und Freizeitblöcke, zeigt sich: Die Angestellten sind während der Arbeit am unzufriedensten. Diese Unzufriedenheit gleichen sie dann durch eine höhere Zufriedenheit in der Freizeit wieder aus. Sprich, die Zeit des Arbeitens ist nicht zufriedenstellend und so wird es sicherlich die eine oder den anderen aufregen, wenn Menschen das Geld ausgeben, beziehungsweise von dem Geld leben, das man in dieser Unzufriedenheit verdient, während man selbst keiner befriedigenden Erwerbsarbeit nachgeht. Bitte beachten: In meiner These spreche ich nicht vom Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitslosen, wie Herr Knabe, ich spreche vom Verhältnis zwischen Erwerbspersonen und Nichterwerbspersonen.

Nehmen wir also an, die These stimmt, dann kann der Ruf nach Vollbeschäftigung doch nur ein geschmackloser Gag in einer Late-Night-Show sein und kein ernsthaftes Ansinnen seriöser intelligenter Menschen wie Politiker, Unternehmer- oder auch Gewerkschafts- und Verbandsvertreter und was es noch so alles gibt. Es kann doch nicht darum gehen, noch einmal drei Millionen Menschen in unglücklich machende Erwerbsverhältnisse zu bringen, die dann nur noch zweiundfünfzig Prozent Mitmenschen durchfüttern. Wenn es um etwas geht, dann darum, die inhaltliche Qualität der Beschäftigung zu verbessern oder wie ich es ausdrücke, statt Beschäftigung, statt Maloche erfüllte sinnvolle Arbeit anzubieten und zu ermöglichen. Menschen, die sich mit ihrer Arbeit erfüllen, die in ihrem Tun einen Sinn finden, diese Menschen kümmern sich nicht darum, wie viele sie mit durchfüttern. Sie beschweren sich nicht immerwährend über die Höhe ihres Salärs und sie hacken nicht auf irgendwelchen gebrochenen Existenzen herum, weil diese keinen Weg mehr zurück in die Gesellschaft finden. Stattdessen sind sinngekoppelte Menschen zufrieden, häufig mit einer positiven Grundeinstellung zum Leben ausgestattet und freuen sich auf den nächsten Tag, genau so wie sie den aktuellen gerne erleben.

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