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Wunsch und Wirklichkeit [3]

Es ist also nicht so, dass die Mehrheit der Menschen keine Verantwortung übernehmen will oder kann. Mit der Unterteilung in Manager und Gemanagte haben sie schlicht im Alltag keine Wahl mehr. Natürlich kann offiziell jede und jeder Manager werden, dennoch bleiben die Posten im Verhältnis zur Gesamtzahl der Mitarbeiter eher eine Seltenheit. Aus dieser Trennung in zwei Gruppen heraus, aus der selbst zugewiesenen Rolle des Managements, erwächst ein plausibler Grund für den Unwillen oder die Unfähigkeit vieler Menschen, Verantwortung zu übernehmen und sich intelligent einzubringen. Der Glaube des Managements: Viele Menschen wollen und können die Verantwortung gar nicht übernehmen, ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung – ein Teufelskreis. Er findet seinen wissenschaftlichen Beleg in einer von Andreas Zeuch in seinem Buch „Feel it!“ beschriebenen Fehlerquelle der Intuition, der so genannten Erwartungsfalle. Sie wurde entdeckt, als man Lehrern eine Liste von Schülern gab, die angeblich hochbegabt waren. Tatsächliche handelte es sich um zufällig ausgewählte Jugendliche. Dennoch, mit der Erwartung, ein Genie vor sich zu haben, behandelten die Lehrer diese Schüler anders und siehe da, als die Intelligenz der ausgewählten Kinder einige Monate später erneut bewertet wurde, waren sie tatsächlich intelligenter als ihre Mitschüler. Sprich: Wenn wir vom Bodensatz der Hierarchie erwarten, dass er keine Verantwortung übernehmen will oder kann, wird diese Erwartung sich erfüllen!

Wunsch: Manager sind die intelligente, moralische und wirtschaftlich nüchterne Führungselite.
Wirklichkeit: Aufgrund der Kürze der Geschichte von Andreas kann man wohl kaum feststellen, wer aus der Gruppe der oder die Intelligenteste sowie moralisch Gefestigtste und wirtschaftlich Nüchternste ist. Unterschiede sind allerdings schon erkennbar. Andreas beweist mit seiner Lesefreude sicherlich nicht das, was man gemeinhin unter guter Arbeitsmoral versteht, ganz egal wie langweilig seine Aufgabe war. Herr Schöttgen outet sich nicht gerade als Intelligenzbestie, während sich Claudia in ihrer Rolle als funktionierende Arbeitskraft durchaus schlau verhält. Andreas‘ Vater ist ganz bestimmt wirtschaftlich nüchtern unterwegs. Inwieweit es moralisch korrekt ist, die Situation so Knall auf Fall wieder zu verlassen, kann nicht wirklich beantwortet werden. Wirklich intelligent war es sicherlich nicht. Er konnte ja sehen, welche Bagatelle zu einem mehrstündigen Produktionsausfall geführt hatte. Hier wären zwei Minuten für ein wenig Empowerment und die Forderung von Selbstorganisation, in Form von eigenständigem Nachschauen, ob beim nächsten Mal wieder der Keilriemen runter ist, mehr als angebracht gewesen.
Bemerkenswert ist: Alle drei Beteiligten zeigen sich völlig blind gegenüber dem Ritual der organisierten Verantwortungslosigkeit. Angesichts der tagtäglichen Meldungen in den Medien und der gesamten Menschheitsgeschichte ist es ziemlich paradox romantisch anzunehmen, das Management oder die Führung vereine automatisch die besseren, intelligenteren und leistungsstärkeren Menschen. Ebenso trübt die Unterstellung den Blick, alle Manager und Führer seien egoistische, gewissenlose und schmarotzende Eigennutzenmaximierer. Manager sind eben ganz normale Menschen ohne Superkräfte und das „Wir wissen was gut für euch ist“- Gen.

Manager und Führungskräfte erzielen überdurchschnittliche bis herausragende Einkommen und einer der Hauptgründe dafür ist der Sachverhalt, dass sie Manager und Führungskräfte sind. Die anderen Fakten, nach denen sie weder intelligenter, noch erfahrener, noch energetischer noch entscheidungsfreudiger oder -sicherer, noch nützlicher für die Gemeinschaft, noch verantwortlicher, noch altruistischer, noch demütiger, noch akribischer noch irgendwie sonst in einem positiven Sinne besonderer wären als alle anderen Menschen, werden da gerne einmal weggefiltert und ignoriert. Aus dem Blickwinkel eines Unternehmens betrachtet ist das dumm. Mögen die formulierten Wunschvorstellungen es noch rechtfertigen, so viel mehr Geld für derart durchschnittliche Menschen auszugeben, die vom Management so oft beschworene Sicht auf die Tatsachen tut es nicht.

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Eingeordnet unter 07 Management ist Geldverschwendung, Kleine Sache, große Wirkung

Das Spiel funktioniert doch nicht

An einem seiner letzten Tage im normalen Projektmanagement kam Torsten zu einer bitteren Erkenntnis, die mit ausschlaggebend dafür war, sein Arbeiten zu verändern. Es war in der Endphase eines Projektes, die Arbeit war getan, doch es gab noch so viel offenes Budget, dass das Projekt einfach noch nicht zu Ende sein durfte. Torsten stellte folgende Bilanz über seine Vierzigstundenwoche auf: Zehn Stunden verbringe ich damit so zu tun, als ob ich arbeiten würde, sieben damit, über Kollegen zu lästern und sie schlecht zu machen, damit sie karrieremäßig nicht an mir vorbei ziehen, acht mit dem Zählen meiner Überstunden und der Kalkulation der mir dafür zustehenden Freizeit, fünf in Gesprächen mit meiner Frau, warum ich schon wieder später nach Hause komme, acht in Besprechungen und zwei damit, das zu tun, wovon mein Vorgesetzter glaubt, dass es gut für das Unternehmen ist. Dann bleiben noch die vier bis sieben Überstunden, um spazieren zu gehen oder sich mit den Kollegen zu treffen, die ich wirklich gut leiden kann und gemeinsame Freizeitaktivitäten zu planen.

Nachdem er die Bilanz aufgestellt hatte schaute er sich um und beobachtete seine Kollegen. Nach einigen Tagen war er sich sicher, dass bei circa der Hälfte die Bilanz so ähnlich ausfallen würde. Dann gab es noch die, die keinen Hehl aus ihrem Absitzen machten und die, die wirklich arbeiteten. Bis zu diesem Tag hatte Torsten eine einfache Argumentation, nach der es sein Unternehmen nicht anders verdiente, schließlich versuchte es ja mit seinen Arbeitsverträgen, Zielvereinbarungen und Potentialchecks ihn zu einer Funktion des Unternehmenserfolgs zu machen. Da war es doch recht und billig, dass er sein Unternehmen ein wenig zum Narren hielt. Er nannte es „die Kunst der kreativen Budgetsteuerung“. Seine Zielvorgaben hatte er immer erreicht, auch dann wenn das Produkt später am Markt, wie von seinen Kollegen und ihm voraus gesehen, floppte. Und er hatte damit immer seinen Bonus eingestrichen und genau das gemacht, was ihm die Intelligenz von oben vorgegeben hatte.
An diesem Tag stellte er fest, dass dieser Kreislauf ein ganzes Arbeitsleben lang funktionieren würde. War dieses Arbeitsleben dann vorbei, so fiel ihm auf, hatte unterm Strich nicht das Unternehmen verloren, vielmehr würde er als Mensch verkümmert sein. Durch die ganze Schokolade, die sie ihm über die Jahre hinweg als Boni, Firmenkredit, Geschäfts-Erlebnisreisen, Ausbildungen und Beförderungen gegeben hatten, wäre sein Geist fett und träge geworden. So könnte er am Ende gar nicht mehr erkennen, dass mit der Pensionierung auch seine Wachheit, seine Frische, ja sein Lebensfunke erlosch. Geistig so verblendet konnte er sich auf einen ruhigen Lebensabend ohne Sinn und tieferen Grund in guter körperlicher Verfassung freuen. Das war doch was!

Schön, wenn es so einfach wäre, dann sprächen wir über persönliche Entscheidungen für oder gegen diese Arbeitswelt, doch so einfach ist es nicht. Der sinnentleerte Lebensabend ist nicht nur wahrscheinlich und wohl auch keine freie Wahl, sondern für immer mehr Menschen eine Wirklichkeit, die sich in erschreckenden Entwicklungen ausdrückt.
Die Zahl an Depressionen hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Das Deutsche Bündnis gegen Depression stellt fest:

„Psychische Erkrankungen sind die häufigste Ursache für Berufsunfähigkeit. Bei Männern ist der Anteil psychischer Erkrankungen als Berentungsdiagnose von 8% im Jahr 1983 auf fast 27% im Jahr 2004 angestiegen, bei Frauen von unter 10% auf rund 37% (Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 2006). Trotz insgesamt sinkender Krankenstände haben die Krankschreibungen aufgrund psychischer Störungen in den vergangenen fünf Jahren um 20% zugenommen (TK-Gesundheitsreport, 2005).
… Bedeutendste Zuwächse bei Arbeitsunfähigkeits-Quoten für Depression zwischen 2000 und 2004 um 42% (DAK-Gesundheitsreport 2005). Im Jahr 2004 waren 1% der Erwerbstätigen – das sind ungefähr vierhunderttausend Menschen – wegen Depression arbeitsunfähig (DAK- Gesundheitsreport, 2005).

Es ist nicht so einfach, dem Entweder-Oder, von krankem und gesundem Wirtschaften zu entgehen und stattdessen sinnhaft zu wirtschaften. Während sich ein krank wirtschaftendes System kaum um die Depressiven kümmern würde, werden sie in einem gesund wirtschaftenden System Mitglied in einer Statistik, erhalten Betreuung und sichern so die Jobs von Arbeitspsychologen und Betriebsärzten. Um diesen Trend zur Volksdepression zu überwinden, muss sich einiges ändern. Eine Anerkennung als Berufskrankheit mit entsprechender Pflegestufe wird hier nicht ausreichen. Man steht mit dieser Einsicht natürlich gegen eine ganze Bank von gesellschaftlichen Dogmen, wie etwa dem Zusammenhang zwischen Karriere und sozialer Reputation, dem Übertragen von Charaktereigenschaften und Persönlichkeit des Kraftfahrzeugs auf seinen Fahrer oder dem Messen des menschlichen Werts über die Quadratmeterzahl des Vorgartens.

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