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Aufstieg und Fall – willkommen auf der dunklen Seite der Macht [2]

Blicken wir kritisch hinter das klare, scharfe Ziel, erkennen wir, wie ambivalent die Beweggründe damals wirklich waren. Eines ist allerdings sicher: Es ging vornehmlich nicht darum, einen Menschen heil zum Mond und wieder zurück zu bringen.

Das legen auch die Daten nahe, die man in den „Historical Data Books“ der NASA recherchieren kann. Wäre das wirkliche Ziel gewesen, auf dem Mond zu landen und unversehrt zurückzukehren, sollte der wirtschaftliche Höhepunkt der NASA Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre liegen. Tatsächlich markiert allerdings die Mitte der sechziger Jahre ihren Gipfel, sowohl was Belegschaft als auch die verfügbaren Mittel anging. 1968, ein Jahr vor der Mondlandung, hatte eine bis in die achtziger Jahre andauernde wirtschaftliche Abwärtsentwicklung bereits begonnen. Doch dazu später mehr.

Im Kern dieses Abschnitts steht die Frage, wie geeignet klare und ambitionierte Ziele oder Visionen und Missionen sind, um Mitarbeiterbindung über Sinnkopplung herzustellen? Aus den Zahlen der NASA kann abgeleitet werden: Überhaupt nicht!
Einen ersten Hinweis auf dieses Versagen erkennt W.D. Kay in der Ressourcenentwicklung, anhand der für die NASA in den sechziger und siebziger Jahren zur Verfügung gestellten Mittel. Das unbeschreibliche Wachstum von über 1.200 Prozent oder knapp vier Milliarden Dollar in den Jahren 1960 bis 1966 steht einem kontinuierlichen Rückgang nach erfolgreicher Erreichung – die Russen wurden um Längen geschlagen – von nahezu 30% oder eineinhalb Milliarden Dollar bis 1975 gegenüber. Ein Muster, das, so Kay, sonst nur von Militärausgaben vor und nach einem bedeutenden Krieg bekannt ist. Daraus abgeleitet hatte es sich bei Mond-Mission keineswegs um das größte friedliche Ereignis der Menschheitsgeschichte gehandelt. Ist das allein noch nicht überraschend, ist es ein anderer Umstand schon. Davon ausgehend, es handelte sich um eine Kriegsmaßnahme, und dass Krieg vielen Menschen mit als die höchste Form der Sinnerfüllung galt und gilt, müsste die Mond-Mission außerordentlich geeignet gewesen sein, um Menschen sinnhaft zu binden. Schließlich war sie dann, als ziviles Wunder vermarktet und insgeheim als existenzerhaltender kriegerischer Akt umgesetzt, doppelt sinnstiftend.
Die Personalzahlen der NASA aus diesen Jahren sagen etwas anderes. Trotz einer ständig wachsenden Belegschaft in den Jahren von 1960 bis 1966 hatte es die Agency ab 1962 auch mit einer stetig hohen Fluktuationsquote zwischen 15 Prozent und 20 Prozent zu tun. Damit man in den wissenschaftlich, technisch und technologisch außerordentlich erfolgreichen Jahren 1965 und 1966 um ungefähr zweitausend Mitarbeiter wachsen konnte, mussten über sechzehntausend Mitarbeiter eingestellt werden. Denn im selben Zeitraum verließen vierzehntausend Menschen die NASA.
Ein schillerndes Beispiel für den menschlichen Preis, den ein solch ambitioniertes und klares Ziel kostet, ist Buzz Aldrin, der zweite Mann auf dem Mond. In seiner 2009 erschienen Biographie stellt er nach erfolgreicher Mission eine entscheidende Frage:

„What‘s a person to do when his or her greatest dreams and challanges have been achieved?“

Er selbst beantwortete die Frage mit langen Jahren, in denen er sich als Repräsentations-Hampelmann für die NASA und Alkoholiker durchschlug.
Es ist nicht anzunehmen, dass alle knapp fünfzigtausend Menschen, die der NASA zwischen 1960 und 1969 den Rücken kehrten, ein ähnliches Schicksal erlitten haben. Dennoch ist der menschliche Preis hoch, den eine Organisation, ein Unternehmen bezahlt, wenn es von Einzelpersonen oder kleinen elitären Gruppen formulierte, quotierte, ambitionierte und visionäre Ziele im Rahmen seiner Mission erreichen will. Und eines ist am Beispiel der NASA eindeutig zu erkennen: Zu einer besseren Mitarbeiterbindung hat weder dieses Ziel noch die dahinter verborgenen wirklichen Ziele und Gründe beigetragen. Die Fluktuationsrate jedenfalls pendelte sich im ruhmreichen Jahr 1969 zwischen fünf und neun Prozent ein und verharrte dort, unabhängig davon, dass sich die NASA neue ambitionierte Missionen suchte – sie fand bis heute keine derart plastische, unvorstellbare, emotionale, buchstäblich von einem Fußabdruck im Weltall gekrönte Vision mehr. Zusammenhängend mit der Tatsache, dass die NASA seither auch deutlich um über zehntausend Mitarbeiter geschrumpft ist, sind fünf bis neun Prozent jährlich eine durchaus moderate Zahl.

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Aufstieg und Fall – willkommen auf der dunklen Seite der Macht [1]

Klare Ziele, Visionen und Missionen sind Garanten für Erfolg

Kennen Sie die Kurzfassung der erfolgreichsten Ziel-Erfolgs-Geschichte der jüngeren Vergangenheit? Bestimmt! John F. Kennedy leitete sie 1961 ein: „I believe that this nation should commit itself to achieving the goal, before this decade is out, of landing a man on the moon and returning him safely to the earth.“
Er fordert sowohl ein klares Ziel, wie auch eine Vision und Mission. Denn schließlich war 1961 die Ansage, einen Menschen heil zum Mond und wieder zurück zu bringen, ungefähr so utopisch wie wenn Frau Merkel heute erklären würde: „Bis 2020 ist Deutschland frei von Schadstoffen und CO2-neutral.“
Am 24. Juli 1969 datiert man offiziell das Ende der Geschichte, auf einer Videowand der NASA wurde unterhalb des Zitats von John F. Kennedy verlautbart: „Mission Accomplished, July 1969“
Seither beweist diese Geschichte die positive und erfolgreiche Bindungs-, Begeisterungs-, Motivations- und Höchstleistungswirkung der Kombination: charismatischer Führer plus klares Ziel, klare Mission und/ oder Vision. Sie ist eine ebenso gern genutzte Metapher für Unternehmensstrategien und deren Erfolgsgeschichten wie als einstimmendes  Beispiel in ein anspruchsvolles und komplexes Projekt.

Aufstieg und Fall – willkommen auf der dunklen Seite der Macht

Bei so viel Heldentum und Sagen-hafter Leistung bedeutet nach den Aufwänden zu suchen, fast schon der Blasphemie anheim zu fallen. Jeder Preis scheint akzeptabel, bei so einem Ergebnis. Ist das so? Suchen Sie mit mir nach den Kosten für so viel Zieltreue.

Räumen wir zuerst einmal mit dem Glauben an die Notwendigkeit eines charismatischen Führers auf. In der Zeit von Kennedys Forderung bis das Ziel erreicht wurde gab es mit ihm, Lyndon B. Johnson und Richard Nixon drei verschiedene Präsidenten und noch mehr Führungspersönlichkeiten in der NASA, deren Charisma praktisch unbekannt ist. Ein charismatischer Führer schadet einem Projekt bestimmt nicht von vorne herein, unabdinglich notwendig ist er allerdings auch nicht.
Auch die heroisch menschlich daherkommende Forderungsbotschaft: „Wir bringen noch in diesem Jahrzehnt einen Menschen sicher zum Mond und zurück!“ ist kaum mehr, als die Vorlage zu einem Film-Drehbuch. Diese unglaubliche Leistung erklärt sich wesentlich vielfältiger und vielschichtiger als mit der schlichten Sehnsucht danach, auf den Mond zu reisen. Politisch überzeugender ist es, den historischen Rahmen des Kalten Krieges zu sehen und darin vor allem die Tatsache, dass die UdSSR bereits 1957 ein ernsthaftes Weltraum-Programm hatte, bevor die Vereinigten Staaten die Raumfahrt auch nur ansatzweise ernst nahmen. Was Kennedy allerdings zu seiner konkreten Zielaussage brachte, war der Fakt, dass es den Russen 1961 gelang, den ersten Menschen ins All zu schießen und wohlbehalten zurückzuholen. So grotesk es heute anmutet, ermöglichte gerade der hintergründig rauschende kalte Krieg und die Furcht der Amerikaner, vom Mond herab durch die Russen beherrscht zu werden, der NASA Wachstumsraten sowohl wirtschaftlich wie auch im Personalstamm von mehreren hundert Prozent in weniger als einem halben Jahrzehnt.

Nehmen wir einmal an, das für die Mondlandung öffentlich verbreitete klare Ziel, die Vision oder auch die Mission wäre nicht hilfreich und orientierend für die Organisation, wie es so viele Führungstheoretiker und anekdotische Beweise gerne darstellen. Dann stellen wir fest, es existierten eine Menge anderer, weniger populäre, komplexere und dennoch weitreichendere Ziele, aufgrund derer tatsächlich umgesetzt wurde. Warum das so ist beschreibt W.D. Kay in „Defining NASA: The Historical Debate Over the Agency’s Mission“. Diese anderen plausiblen Gründe versammeln unter sich altbekannte Ziele. Es ging um Macht, Vorherrschaft und Kontrolle sowie einen vielleicht bereits verloren geglaubten Wettstreit. Also um althergebrachte herrschaftliche Ansprüche und Werte, die wir gerne der amerikanischen Gesellschaft zuordnen.
Das weniger plakative aber wirkliche Ziel, wenn man es so nennen möchte, war es, die Dominanz des Weltraums oder zumindest des Orbits über der Erde nicht tatenlos an die UdSSR zu verlieren. Kennedy selbst rechtfertigte die Apollo Mission in einem späteren Interview mit den weit ehrlicheren Worten:

„ … not only [by] excitement or interest in being on the moon, but [by] the capacity to dominate space, which … I believe is essential to the United States as a leading free world power.“

Bestärkt wird dies von den Fakten, nach denen die USA bereits Mitte der sechziger Jahre in Sachen Weltall nicht nur mit der UdSSR gleich gezogen hatten, sondern bereits vorbei gestürmt waren. In einem Memo von 1966 meldet Ed Welsch von der NASA an Vizepräsident Hubert Humphrey die Erfolgsbilanz:

  • nahezu zweitausend Mann-Stunden im All, im Vergleich zu gerade einmal fünfhundertsieben sowjetischen,
  • mehr als elf Stunden an Raumspaziergängen, im Vergleich zu zwanzig russischen Minuten und
  • eine Liste von Erstlingen:
    Das erste manuelle Manövrieren im Orbit,
    das erste kontrollierte Raum-Rendezvous und
    das erste Andocken eines bemannten Raumschiffs an ein anderes Vehikel.
    Von denen die letzten beiden Punkte vom russischen Raumprogramm bis heute nicht erreicht wurden.

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