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Goldene Nasen sind teuer – für alle!

2010 wurde in Großbritannien erstmals die Studie „a bit rich“ veröffentlicht. Sie untersucht die gesellschaftlichen Auswirkungen von Berufen und stellt eine Relation zwischen dem erzielten Einkommen und den volkswirtschaftlichen Kosten und Risiken her, die die jeweiligen Berufe verursachen. Konkret: Ein Marketingleiter eines Industriebetriebes, nehmen wir einmal einen Schokoladenhersteller, verdient zwischen fünfzigtausend und mehreren hunderttausend britischen Pfund. Er reizt Menschen dazu an, unvernünftig viel Schokolade zu kaufen und zu konsumieren. Er erzeugt Stress, wenn man die gewünschte Schokolade nicht bekommt, spielt die negativen gesundheitlichen Auswirkungen herunter und überhöht die empfundenen Glücksgefühle. Ja er verknüpft die Identifikation sogar mit der körperlichen Fitness von Profisportlern. All das ist in Ordnung, denn die gesundheitlichen Auswirkungen finden sich in den bereits erwähnten externen Effekten, für die seine Firma nicht verantwortlich gemacht wird. Die Studie „a bit rich“ hat diese externen volkswirtschaftlichen Effekte allerdings für das Berufsbild des Marketing-Direktors untersucht. Das Ergebnis: Für ihr Einkommen von fünfzigtausend bis zu mehreren hunderttausend Pfund zerstören sie elf Pfund für jedes Pfund, das sie als Wert generieren.

Dem Gegenüber stehen Berufe wie ErzieherIn, Krankenhausreinigungskraft oder Müllwerker, die allesamt für jedes Pfund das sie verdienen ein Vielfaches (bis zum Zwölffachen) an volkswirtschaftlichem Wert generieren. So sorgt die Müllabfuhr etwa dafür, dass wir uns nicht Seuchen und hoch ansteckenden Darmkrankheiten, üblem Gestank und dem öffentlichen Gewimmel von Ratten, Mäusen und anderen Krankheitsüberträgern aussetzen müssen. Zudem schließen sie den immer wichtiger werdenden Kreislauf des Recycling, das es ansonsten gar nicht geben könnte. Die Krankenhausreinigung sorgt ebenfalls für eine Hygiene, die sicher stellt, dass hochansteckende Krankheiten in so geringem Maße wie möglich das Hospital verlassen oder in ihm weitergegeben werden. Warum ErzieherInnen so wertvoll sind, muss man im allgemeinen Kanon des Zukunftswertes unserer Kinder nicht mehr weiter ausführen.
Daran festgemacht ist Erfolg im gesunden Wirtschaften der Gewinn, den ein Unternehmen erzielt. Erfolgreich sinnhaft wirtschaften heißt demgegenüber, die externen Effekte mit zu berücksichtigen und auch hier nach dem Bestmöglichen zu streben. So wie es etwa Yvon Chouinard, der Gründer der hochinnovativen Outdoorfirma patagonia vorlebt, die unter anderem PET-Flaschen zu hochwertigen Outdoorjacken recycelt.
Eine derart erfolgreiche Welt wird auch und gerade dann wahrscheinlicher, wenn mehr und mehr Menschen durch die Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg ihrer Unternehmen materiell von demselben unabhängig werden. Die Abstimmung mit den Füßen bekommt in einer sinnhaften Welt einen wohlig vertrauensbildenden und beruhigenden Klang.

Hören Sie auf, der Vergangenheit nachzurennen

Als Manuel den Raum betrat fiel ihm zuerst der Geruch auf. Er kannte ihn nicht und doch konnte er ihn nur mit unangenehmen Dingen in Verbindung  bringen. Je tiefer er in den Raum hinein ging, umso penetranter drängte er sich durch die Nase über den Rachen in sein Gehirn. „Irgend eine Art Käse oder abgestandenes Frittierfett?“ dachte Manuel.

Es war ein frischer Morgen, an dem er in den Trödelmarkt eintauchte. Ein Stuhl war das Ziel seiner Wünsche, ein leicht angegammelter schlichter Holzstuhl, um das Werk darauf in Szene zu setzen. „Was für ein Werk“ dachte Joseph. „Dekadenz und Vergehen, Wohlstand und Kindesfreuden, Gold und Schmiere und das alles in einem Symbol vereint.“ Er war zufrieden mit sich und dem, was er heute (er)schaffen würde.

Man musste sich durch die Menge drängen, die in einer Mischung aus Faszination, Fassungslosigkeit, Ekel und Neu-Gier vor der Vitrine stand. Manuel war sich unschlüssig, ob er wirklich zur Quelle des Gestankes vorstoßen wollte, der sich bereits als Brausen zwischen seine Ohren gelegt hatte und ihm die Abscheu in Gänsehautwellen über den Körper rollen ließ. Doch weswegen war er sonst hier?

Der Stuhl war schnell gefunden und äußerst günstig erhandelt. Schwieriger war der Transport aus der Menge heraus und nach Hause. Dort angekommen ging Joseph zum alten stilechten amerikanischen Kühlschrank und öffnete die für europäische Verhältnisse viel zu große Tür. Da lag sie vor ihm, die goldgelbe Masse, fest und doch formbar, ein wirklich gutes Objekt für eine Installation. Er umwickelte sie mit Plastikfolie und packte alles in den Bottich voll Eiswasser, der vor dem Kühlschrank bereitstand. Jetzt noch Stuhl und Fett ins Museum und der Tag war perfekt.

Manuel wollte seinen Augen nicht trauen, auf einem alten, abgelebten Stuhl lagen einige Kilogramm Fett. Sie waren zu einem Keil geschnitten, so dass die Schräge von der oberen Stuhllehne bis zur Sitzfläche verlief. Das Fett charakterisierte sich durch eine unruhige Oberfläche mit unzähligen Riefen und Vertiefungen, die irgendwie ineinander liefen. Und es stank. Manuel fragte sich: „An was hat Joseph Beuys nur gelitten, damit ihm etwas derart Krankes als Ausdruck von Kunst abgenommen wurde? Und noch wichtiger, warum hat er es nur umgesetzt?“

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Ein Kommentar

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Der Betrieb als Fundament seiner Wirtschaftslehre

Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt, warum es Betriebe, eine Grundvoraussetzung für die Betriebswirtschaft, überhaupt gibt und wie sie entstanden sind? Harry Braverman und Sidney Pollard schreiben dazu:

„Kontrolle ohne Zentralisierung der Arbeitskräfte war, wenn nicht unmöglich, so sicherlich sehr schwierig, und daher war die Vorbedingung für das Management die Zusammenfassung der Arbeiter unter einem einzigen Dach.“
Harry Braverman – Die Arbeit im modernen Produktionsprozess

„… es wenige Gegenden im Land gab, wo die modernen Industrien … – sobald die Arbeit in großen Gebäuden verrichtet wurden – nicht mit Gefängnissen, Arbeitshäusern und Waisenhäusern verbunden waren. Dieser Zusammenhang wird gewöhnlich unterschätzt, vor allem von denjenigen Historikern, die davon ausgehen, dass die neuen Fabriken ausschließlich freie Arbeit rekrutierten.“
„Das moderne Industrieproletariat ist nicht so sehr durch Anreiz oder monetäre Entlohnung, sondern eher durch Druck, Gewalt und Angst in seine Rolle eingeführt worden.“
Sidney Pollard – The Genesis of modern Management

Ein Grund für den Betrieb ist sicher die einfachere Koordination und Kontrolle einer Vielzahl von Menschen innerhalb eines abgeschlossenen Raumes. Die brutal totalitären Ausprägungen der Anfangszeit sind heute selten geworden, zumindest in Westeuropa und für meine Generation sind Betriebe das Normalste der Welt. Die Grundmechaniken, die hinter diesen Mauern stattfinden dürfen, heißen allerdings weiterhin Druck, Gewalt und Angst. Sehr viel subversiver ausgeübt als noch vor einhundert Jahren und dennoch allgegenwärtig. Achten Sie einmal darauf, wenn sie das nächste Mal einen der beeindruckend bedrohlichen Großbetriebe betreten. Diese Mischung aus Wohlstand und Abhängigkeit, aus Größe und unter-Druck-stehen, aus Glanz und alkoholisiert gescheiterter Existenz ist die Krankheit, die wir im gesunden Wirtschaften mit strahlend weißen Boni-Verbänden, sterilen Mitbestimmungs-Pflastern und wirkstofflosen Betriebsversammlungs-Placebos aufhübschen.
Der Betrieb erklärt sich auch aus der Notwendigkeit zur Abgrenzung. Viele von uns denken dabei erst einmal an die systemtheoretische Notwendigkeit zur Abgrenzung von sozialen Systemen. Dahinter steckt die schlichte Erkenntnis, dass unsere Identität als Mensch Abgrenzung braucht, um sich zu definieren. Dieser Aspekt wird in Kapitel acht noch eine ausführliche Rolle spielen. In der Wirtschaftslehre braucht es die Abgrenzung vor allem für das Phänomen der externen Effekte. Sie meint damit die Auswirkungen des Handelns eines Unternehmens auf seine Umwelt, für die es nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, beziehungsweise die es in seinem wirtschaftlichen Kalkül nicht berücksichtigen muss. So stand das ausgebeinte Gebäude des Betriebs meines Vaters noch jahrelang leer, weil niemand das Risiko eingehen wollte, die Entsorgung des vermutlich kontaminierten Fundaments zu übernehmen. Die Lösung: Das Gebäude blieb einfach stehen und beherbergt heute – an der Oberfläche renoviert – die Volkshochschule. Andere Beispiele sind die Kosten, die durch schlecht oder falsch endgelagerte radioaktive Abfälle entstehen, volkswirtschaftliche Folgen aufgrund einer Bankenpleite und dergleichen mehr. Die faktische und juristische Abgrenzung des Betriebs wird von der modernen Wirtschaftslehre benötigt, um im Betrieb eigene Gesetze und Regeln, teilweise weithin losgelöst von den Regeln der Gesellschaft umzusetzen. Ein Beispiel: Die Überwachung der Mitarbeiter durch die deutsche Bahn ist zwar gesellschaftlich und moralisch fragwürdig, nach den Betriebsvereinbarungen des Konzerns aber keineswegs illegal. Ohne diese Grenze müsste sich die Lehre bereits seit langem und in allen Belangen der Komplexität des Lebens stellen. Das geschieht seit einigen Jahren sehr zaghaft, dort, wo es nicht mehr zu vermeiden ist.

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