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Affenmärchen – Die Kosten sachzentrierter Kommunikation

Im Rahmen meiner Gespräche rund um Affenmärchen wurde mir Folgendes berichtet:

In einem Unternehmen gibt es die zwei Standorte. In Standort A wird seit geraumer Zeit ein Produkt in Kleinserie herstellt. Ein Produktionsschritt ist dabei eine sehr spezifische Materialbehandlung. Für diese Aufgabe hat Standort A eine speziell ausgewählte und erprobte Maschine im Einsatz.

In unserer Geschichte fängt nun Standort B ebenfalls damit an, dasselbe Produkt in größerer Menge herzustellen. Dafür braucht Standort B eine geeignete Maschine. Sie soll an eine größere Produktionsmenge angepasst sein und nach einem erstellten Flächenplan in der Produktion aufgestellt werden. Ein Mitarbeiter aus B fragt bei der entsprechenden Führungskraft in A nach, welche Maschinen sie am  Standort verwenden sollen und wie die Herstellanweisung lautet. Er bekommt daraufhin via Mail die Antwort, welcher Typ in A verwendet wird, welche Anforderungen die Maschine erfüllen sollte und eine kleine Liste möglicher Alternativen.

Nach einiger Zeit antwortet der Mitarbeiter aus B, dass er eine Maschine gefunden hat, die wunderbar an den vorgesehenen Platz passt. Die gewählte Maschine erfüllt auf den ersten Blick die Anforderungen, entspricht aber nicht der Maschine aus Standort A und steht auch nicht auf der Liste der Alternativen. Die Führungskraft  aus A ist einigermaßen genervt und antwortet: „Ich habe euch eine Liste mit möglichen Maschinen gegeben und ihr habt die Herstellbeschreibung. Ob die von euch genannte Maschine verwendet werden kann, müsst ihr entscheiden.“

Damit ist der Austausch beendet. Die von dem Mitarbeiter aus B bevorzugte Maschine wird gekauft und die Produktion beginnt. Einige Zeit später sind:

  • 36 Mannmonate á ≈ 3.600 € = 129.600 €
  • Material ≈ 50.000 €
  • Eine Maschine ≈ 4.000 €

verbraucht.

Bei einer Unterhaltung in der Produktion in B fällt den Führungskräften aus A nun auf, dass die Maschine in Standort B sehr leise ist. Sie macht nicht das charakteristische Geräusch der Maschine in Standort A. Voller Interesse und Begeisterung schauen sich die Besucher die neue Flüstermaschine aus der Nähe an und stellen fest: Kein Wunder, der Maschine fehlt ein wesentliches Bauteil, dass Rüttelgeräusche verursacht! Äußerlich ist der Betrieb gleich und auch die Produkte aus der Maschine sehen in der ersten Prüfung gut aus, dennoch verfehlen die Endprodukte die notwendigen Qualitätsvorgaben klar!

Auf die Frage, warum sie eine solche Maschine gekauft haben, antworten die Mitarbeiter aus B: „Weil die Führungskraft aus A nicht widersprochen hat!“

In der Folge stellt sich die Maschine und die damit erstellten Produkte als unbrauchbar heraus. Nicht nur das Material und die Arbeitszeit (siehe oben) sind verloren. Zusätzlich muss noch Zeit aufgewandt werden, um die schlechten Produkte zu markieren, damit sie nicht verwechselt werden und zum Kunden gelangen. In dieser Zeit werden natürlich weniger gute Produkte hergestellt.

Finanziell ergibt sich ein Schaden von ca. 250.000 €.

Die Reflexion der Situation ergibt als wahrscheinlichste Erklärung:
Die Mitarbeiter von B wollten gerne eine Maschine kaufen, die auf einen vorhandenen Tisch im geplanten Produktionslayout passte  (vielleicht einige hundert Euro wert). Damit konnten sie vermeiden ob und ggf. wie sie den Produktionsbereich neu zu gestalten hatten. Die Auswahl wurde geprägt durch die gewünschten Abmessungen, alles andere wurde nur auf Erfüllung oberflächlicher Rahmenbedingungen wie etwa Leistung und Haltbarkeit geprüft. Was nicht eindeutig niedergeschrieben war, wurde nicht berücksichtigt.

Die übermittelte Prozessbeschreibung aus Standort A enthielt alle Informationen zur Durchführung. Allerdings erläuterte sie nicht den Sinn der Prozedur und enthielt keine detaillierte Maschinenbeschreibung. Dafür gab es schließlich eine Liste möglicher Maschinen.

Standort B ging davon aus, dass eine Maschine auch dann gewählt werden kann, wenn sie nicht auf der Vorschlagsliste steht. Warum also nicht eine Maschine wählen, die dorthin passt, wo sie hin soll? Es sagt ja keiner, dass diese Maschine nicht geeignet ist.

Für Standort A war es übertrieben aufwändig, den Prozess nochmals zu erläutern oder die von Standort B favorisierten Maschinen selbst auf Eignung zu prüfen. Die Maschine steht nicht auf der Liste, also ist die Frage der Eignung auch nicht von Standort A zu beantworten. Mehr gab es dazu nicht zu sagen.

Alle haben aus ihrer Sicht das Richtige gemacht.

Soweit zur Geschichte. Sie zeigt einige Aspekte, die ich auch in Affenmärchen aufgegriffen habe.

  • Zum einen, wie irrational wir Menschen sind und wie wenig Achtsamkeit wir auf dieses Tatsache verwenden.
    Nicht nur die Mitarbeiter aus B, die gerne die für sie einfachste Aufstellmöglichkeit als Hauptkriterium ansetzen –ihr ‚Wozu‘ erfüllen wollen– verhalten sich fern jeder Sachlichkeit.
    Auch die Reaktion der Führungskraft aus A trägt nicht zur Fehlerprävention bei. Sie fragt zu keinem Zeitpunkt nach. Stattdessen lehnt sie eine weitere Beteiligung am Auswahlprozess ab und verkennt dabei, dass in Standort B für die Entscheidungsfindung falsche Prioritäten ausschlaggebend sind.
  • Das Beispiel zeigt, wie teuer es ist, diese uns bekannte Menschlichkeit zu übergehen. In diesem Fall lässt sich der Betrag auch noch sehr gut auf seine Ursachen zurück ableiten. Häufig sind es allerdings Fehler die einfach passieren und im bestehenden System des Gesund-Krank-Wirtschaftens achselzuckend als unvermeidbar hingenommen werden. Niemand kann als Schuldiger identifiziert werden, da alle irgendwie Dreck am Stecken haben und so gibt es häufig schlicht eine Rüge oder ein vertretbares Bauernopfer.
  • Zu keiner Zeit fällt dem Management auf, dass die Zielsetzung des Mitarbeiters in Standort B falsch priorisiert ist. Durch die Vorgabe, einen guten Aufstellplatz für die Maschine zu finden, treten andere Vorgaben in den Hintergrund. Die Milchglasscheibe des Managements wird hier sehr deutlich. Ein Konflikt der Ziele tritt nicht auf was keine Neuausrichtung ermöglicht.
  • Im geschilderten Fall ist die intrinsische Motivation der Mitarbeiter aus B von den extern beeinflussenden Motivatoren klar getrennt. Das innere Ziel, ein störungsfreier Ablauf des Produktionsaufbaus nach Plan, dominiert die Entscheidung für den Kauf der Maschine. Wichtig ist dann nur noch, einige zentrale Leistungsparameter einzuhalten. Der eigentliche Sinn der Maschine steht im Hintergrund. Anders kann der Wille zur Tisch-Maschinen-Passung nicht sinnhaft erklärt werden.

Vielen Dank für diese Geschichte!
Gebhard Borck

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Eingeordnet unter Geschichten rund um Affenmärchen, off record

Der schwere Gang in den Betrieb

Nach über vierzig Jahren Betriebszugehörigkeit und mehr als zwei Jahrzehnten hier am Standort war dieser letzte Gang durch die Fabrik am besten mit seiner Körperhaltung charakterisiert: Der leicht gebeugte Rücken, sein schlurfender Schritt und die Bedächtigkeit oder auch Behäbigkeit, mit der er Türen öffnete und wieder schloss, ließ die wieselflinken intelligenten Augen beinahe verschwinden. Dabei kennzeichneten sie die Qualität, Effektivität und Effizienz, mit der er auch seine letzte, nun hinter ihm liegende Aufgabe gemeistert hatte. Aus irgendeinem vergessenen Grund war sein Sohn mit dabei und folgte ihm schweigend durch die Korridore, Treppenhäuser, Büroräume und Produktionshallen. Vor einigen Monaten hatte er erfahren, wie man nach fast einem halben Jahrhundert Arbeit für dasselbe Unternehmen dennoch einfach gekündigt werden konnte. Noch grotesker war allerdings, dass er mit der Abwicklung des Standorts beauftragt wurde. Seine Aufgabe in den letzten Wochen seiner Anstellung war demnach die Ausräumung der Maschinen, den Umzug der noch gebrauchten Büromöbel und schließlich die Verschrottung alles Übrigen – unter anderem auch persönliche Gegenstände, die von ihren Besitzern zurückgelassen worden waren – zu überwachen und zu kontrollieren. Heute nun ging er zum letzten Mal durch die ausgeweideten Innereien (s)eines Betriebes. Hinter der immergleichen Fassade erwarteten die beiden Besucher leere, höhlenartige Korridore, verlassene Hallen mit Beulen im Boden von der Last der Maschinen, die hier jahrzehntelang gestanden hatten, mit ihren leuchtenden Displays endzeitlich anmutende Zeiterfassungsautomaten, die niemand mehr benutzen würde, seltsame Flecken an den Wänden, Rückstände der Anlagen, die hier gearbeitet hatten, abgegriffene Türknäufe, gesplitterte Glastore, verkeilte Schiebetüren, die sich nicht mehr schließen durften, ausgebeinte Technikräume mit hunderten von Löchern in der Wand, die Endpunkte oder Anfänge für Kabelkanäle, Hauspostrohre und Stromleitungen markierten und hie und da ein Neonlicht, das die Tristesse in fahles weißes Licht tauchte. Die begehbare Manifestation des Untergangs eines Industrietitans. Als er die Türe zum letzen Mal hinter sich zuzog endete nicht nur die Geschichte des Betriebs. Es endete auch ein erheblicher Bestandteil seines Lebens. Hier hatte er meist mehr als fünfzig Stunden in der Woche mit seinen Kollegen verbracht, feixend, feilschend, feiernd, gewinnend, verfehlend, argumentierend, denkend, geniessend, frustriert, diskutierend, euphorisch, verängstigt, nervös und glücklich. Es war ein abgegrenzter Raum gewesen. Ein Platz mit eigenen Prozessen, eigenen Ritualen, einer eigener Struktur und Kultur, einer eigenen Verwaltung, kurz: eine Welt mit ihren eigenen Gesetzen. Sie war klar unterscheidbar zur Außenwelt zu den anderen Betrieben, den anderen Menschen, den anderen Institutionen, zum Rest.

„Er“ ist mein Vater, ich hatte ihn damals begleitet und weiß seit diesem Tag wie trügerisch unnatürlich es ist, jeden Tag in einen Betrieb zu gehen, um zu arbeiten, der nicht der eigene ist.

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Eingeordnet unter 04 Requiem für die moderne Betriebswirtschaftslehre, Der schwere Gang in den Betrieb

Master and Servant [1]

Andreas war jetzt seit einigen Jahren mit der Bereichsleitung betraut. Im Konzern war es einer der kleinsten Bereiche, zählten zu ihm doch gerade einmal 28 Mitarbeiter, Führung inklusive. Da kannte jeder jeden persönlich. Trotzdem war es ein selbständiger Geschäftsbereich, denn Andreas trug die Verantwortung für die Entwicklung, die Produktion, die Verpackung und die Vertriebslogistik des Produktes und sein Vorgesetzter war Mitglied des Direktionsgremiums des Standortes. Darüber kam nur noch die Konzernzentrale. Ihr Produkt war eine Cash-Cow – wenig und kontrollierter Aufwand bei zugleich enormem Ertrag. Andreas hatte so etwas wie Narrenfreiheit, war er doch der einzige im ganzen Konzern, der wirklich die gesamte Versorgungskette und das Produkt mit seinen physikalischen und chemischen Eigenschaften kannte. An diesem Freitagmorgen bekam er eine Nachricht, die den Narren in ihm heraus forderte.

Ohne Zwischenstation über seinen Chef erhielt er aus einem Verwaltungsbereich der Konzernzentrale die Anweisung bis zum kommenden Dienstag eine Liste von drei Mitarbeitern zu erstellen, die laut seiner Einschätzung entbehrlich waren. Grund: Im Rahmen von COPE (Cost Efficiency Personal Economization) hatte eine Analyse der Leistungsdaten ergeben, dass in seinem Bereich 3,4 Mitarbeiter über Bedarf arbeiteten. In einem Vorstandsbeschluss war daraufhin entschieden worden, alle entsprechenden Potentiale auf die nächst niedrigere Zahl abzurunden und als Zielvorgabe für die notwendigen Einsparungen festzulegen. Andreas balancierte das Memo einige Zeit zwischen seinen Fingern, füllte die darunter aufgedruckte Tabelle aus, die zur Rückmeldung genutzt werden sollte und schickte das Memo via Fax zurück an die Verwaltung. Knapp eine halbe Stunde später wurde er in das Büro seines Chefs zitiert; jetzt musste er schmunzeln.
„Was hast du dir dabei gedacht!?“ Andreas Chef überging jede Begrüßungsfloskel „Mich, dich und deine einzige Führungskraft auf die Liste zu setzen?“ Ohne Eile setzte sich Andreas auf den Stuhl gegenüber dem schweren Schreibtisch. „Na ja, auf dem Memo stand: Die Mitarbeiter, die laut meiner Einschätzung am entbehrlichsten sind. Du, der Kollege und ich sind nur mit administrativen Aufgaben betraut. Wenn wir gegangen werden läuft die Produktion und damit die Wertschöpfung problemlos weiter, bis es eine Produktänderung zu geben hat, und die kann ja dann auch die Zentrale vorgeben.“ Sein Chef wogte gegen die schelmische Ruhe von Andreas an, der nicht von seinen Vorschlägen abwich. Das Ende vom Lied: Niemand wurde entlassen.

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Eingeordnet unter 03 Menschenbildstörung, Master and Servant