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Einfach nur die Falschen?

Smith_HeiligenscheinLiebe Leserinnen und Leser,

am Wochenende bin ich auf den Blockpost Führungskräfte unter Druck – Demotivation, Widerstand, Burn-outs und andere Formen des Mimosentums von Dr. Heinz Peter Wallner gestoßen. Er beklagt darin, dass wir, die Rufer und Herbeisehner einer neuen Führungskultur, eine wichtige Entwicklung der Rahmenbedingungen bei den Führungskräften übersehen: Den Verlust ihrer Schutzschilder. Er schreibt dazu:

„Auf die nackte Persönlichkeit mit allen Schwächen zurückgeworfen, müssen sie sich dem Kampf des Wandels stellen.“

Not für alle

In seinem Artikel stellt sich Wallner auf die Seite der Führungskräfte, von denen wir, die Verfechter neuer Führungsstrukturen, so viel verlangen. In ihrer Position beklagt er wegfallende Schutzzonen wie etwa die unabdingbare, gute alte Bürokratie, die Rolle des Vorgesetzten mit integrierter Anerkennung seiner Autorität oder der Schutz der Pflicht, innerhalb derer die Vorgaben „von Oben“ widerspruchslos zur Umsetzung gebracht werden.

Wallner sieht allerdings nicht nur die Führungskräfte in Not. Auch die Mitarbeiter dürfen nicht weiterhin arbeiten gehen, um für Geld ihre Arbeit zu tun. Stattdessen wird von ihnen verlangt motiviert zu sein und in der Selbstverantwortung gefälligst ihr Glück zu finden.

Die bösen Leadership-Schwafler

Nach dieser kleinen Exkursion auf die Seite der Mitarbeiter kommt die Keule gegen uns Trainer, Berater, Autoren und Speaker, die wir mit unserem Leadership-Geschwafel von den Führungskräften so unverschämt viel verlangen. Tatsächlich sollten wir doch mehr Verständnis für die schwachen Führungskräfte haben. Wallner verlangt nach dem Raum, in dem sie ihre Verzweiflung ausleben können. Er ruft uns ins Gedächtnis, dass wir es nicht mit unverbesserlichen Trotzköpfen und stattdessen mit verletzbaren Individuen zu tun haben, die mit all ihren Schwächen und wunden Punkten dem harten sozialen Treiben hilflos ausgesetzt sind. Wallner spricht an dieser Stelle vom Leadership-Cult, der den Führungskräften in der Stimme eines Dämons hinüberruft: „Warum versteckst du dich? Sei kein Feigling, stelle dich den Herausforderungen deiner Mitarbeitermonster. Freue dich, denn du wirst scheitern“.

Trotz Verständnis braucht es Empörung

Herr Wallner beschließt seinen Artikel mit viel Verständnis, das er für diese Menschen -die Führungskräfte- aufbringen kann. Dem er entgegensetzt, das die Kraft zur Entwicklung weder Verständnis noch Einsicht braucht und stattdessen auf Widerstand und Empörung angewiesen ist. Er schließt den Bogen und wird wieder selbst ein Verfechter der neuen Ideen, indem er feststellt, dass wir den Menschen Veränderung zuzumuten haben, wollen wir die kommenden Krisen überstehen. Anstatt die Führungskräfte in ihrer Schwäche zu schützen, sollen ihnen das Neue zumuten und damit zutrauen. So kann laut Wallner aus Schwäche plötzlich Stärke werden. Natürlich ohne dabei rüde mit Menschen umzugehen!

Im Spiegel meiner Arbeit

Süffisanz beiseite. Aus meiner eigenen Beratungsarbeit kenne ich die von Herrn Wallner beschriebenen Führungskräfte. Er hat sich sehr gut in sie hinein versetzt. Seine Punkte trägt man mir in meinen Organisationsentwicklungsprojekten für eine neue Führungskultur regelmäßig argumentativ so oder so ähnlich vor. Dabei entsteht schnell eine Denkfalle. Folgende Frage deckt sie auf:

„Wer sagt denn, dass die heutigen Führungskräfte in Leadership-Cult-Organisationen noch Führungskräfte sein müssen?“

Auch ich sehe viele Trainer, Berater und Speaker, die sich dort die Taschen mit Geld voll machen, wo es keinen interessiert, aber nach wie vor viele bereitwillig bezahlen. Die aktuell vorherrschenden Organisationsstrukturen in den Firmen -wie alle Strukturen- präferieren einen bestimmten Typ Mensch, bestimmte Charaktere, Eigenschaften, Werte und Fähigkeiten. Dazu gehört (verschieden stark ausgeprägt) aus einem natürlichen Verständnis der Sache heraus:

  • (bedingt fatalistisch) nach oben zu ducken und nach unten zu treten.
  • Erfolge für sich persönlich zu beanspruchen und Misserfolge auf die Situation oder noch schlimmer aufs Team zu delegieren.
  • mit Bürokratie die Untergebenen zu gängeln.
  • sich selbst schon aufgrund der formalen Zuordnung als Autorität zu verstehen.
  • Dinge macht Amtes auch gegen den gesunden Menschenverstand durchzusetzen.
  • sich selbst für wertvoller (mehr verdienend) anzusehen als einen Mitarbeiter.
  • Privilegien als selbstverständlich hinzunehmen.

Diese Menschen zum Leadership in einer zunehmend dezentral demokratisierten Arbeitswelt zu entwickeln ist wahrlich eine Herkulesaufgabe. Sie hat alle Chancen der Welt, zu scheitern. Denn diese Charaktere müssen sich dafür in einer persönlichen Katharsis tatsächlich ihrer nackten Persönlichkeit mit allen Schwächen stellen. Mit Spaß, Freude, Motivation und daraus resultierendem Erfolg hat das sicherlich nichts zu tun.

Dabei könnte man den Menschen innerhalb der neuen Organisationsstruktur auch eine Rolle/ Stelle suchen, die ihrem Charakter, ihren Eigenschaften, Werten und Fähigkeiten einfach mehr entspricht. Schon ist die Veränderung nicht mehr ganz so gewaltig, das Tal der Tränen um einiges flacher und die Chance auf Erfolg für den Wandel immens gewachsen.

   Mehr zum Thema:

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Ohne (gefühlten) Verlust kommt es nicht zum Wandel der Führungskultur. Im Glauben, dass mehrheitlich die heute Verantwortlichen morgen auch noch im Lead sind, sterben gut gemeinte Versuche, die Veränderung zu schaffen. Je länger wir der heutigen Führung zutrauen, dass sie en gros fähig sei, sich in die neuen Herausforderungen des Leadership hinein zu entwickeln, umso länger warten wir darauf, die anstehenden Krisen sinnvoll zu bewältigen.

Für mich ist es längst an der Zeit die Menschen zu finden, denen Leadership aufgrund ihres Charakters, ihrer Werte, Eigenschäften und Fähigkeiten leicht fällt. Sie zu begleiten, wie sie damit am Arbeiten Spaß haben und mit ihrem Leben zufrieden sowie wirtschaftlich erfolgreich sein können, dass prägt mein Engagement als Unternehmer, Berater, Trainer und Autor.
Mich begeistert an diesen Menschen, dass sie in ihrer Entwicklung zum Leader viel mehr Rücksicht auf die (heutigen) Führungskräfte nehmen, als diese im eigenen Wertempfinden jemals verdient hätten.

Wir wollen denken!
Gebhard

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Affenmärchen in der Praxis, blauäugig

Sinn-Gründer handeln nicht wegen des Gewinns

Edu hatte endgültig genug davon, dass andere ihm erklärten, wie sinnvoll es war, den Kunden hinzuhalten und lieber zwei weitere Monate Budget heraus zu holen, anstatt das Projekt zu beenden. Er mochte nicht mehr stundenlang in zermürbenden Sitzungen der Selbstprofilierung von aufgeblasenen Endplatzierten lauschen müssen, weil sie eben die Anteilseigner der Firma waren und er konnte sich nicht mehr vor seinem Chef ducken, obwohl dieser schon seit geraumer Zeit besser mit seinen Golfschlägern hantierte als mit den Technologien seiner Firma. Er hatte es satt. Sein Kollege und zukünftiger Partner in der gemeinsamen Firma fasste die Stimmungslage so zusammen: „Wenn man jahrelang in der Scheiße rührt, ist es irgendwann Zeit, sich die Hände zu waschen.“

Bei der nun folgenden Gründung hatten sie keine revolutionäre Produktidee oder eine technologische Weltneuheit. Was sie hatten war ein nüchternes Verständnis für die Grenzen und Leistungsfähigkeit von Social Media Web Portalen. Sie kannten die Bedarfe von Unternehmen und wussten, weshalb die Wettbewerber nicht zum Zug kamen. Außerdem nahmen sie aus ihrer Firma zwei Interessenten mit, die eine Technologie suchten, bei ihrem alten Arbeitgeber nicht richtig zufrieden waren und bei denen sich Edu und sein Partner exzellent mit den Firmenchefs verstanden. Unter diesen Voraussetzungen ging es recht schnell. Nach sechs Monaten hatten sie eine Firma mit zwei mittelgroßen Projekten und drei Mitarbeitern. In Gesprächen vergaß Edu niemals zu betonen, dass es ihnen nicht so sehr darum gegangen war, selbständig wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Ihr Beweggrund war vielmehr immer gewesen, ohne die ganzen Kindergartenspielchen arbeiten zu können. Endlich ohne Machtspielchen zwischen den Mitarbeitern der ersten, zweiten und untersten Klasse Leistung erbringen, Humor und Spaß „uff Maloche“ zu haben und wenn man einen schlechten Tag hat, auch einfach einmal im Bett liegen zu bleiben, bis der Abend herein bricht und die Energie zurück kommt.

Die Betriebswirtschaftslehre nimmt es als gegeben an, dass Unternehmer – oder eigentlich jeder – vor allem anderen die Wirtschaftlichkeit als Maß für Erfolg ansetzen. Diese Haltung hat unsere Gesellschaft bereits so verinnerlicht, dass viele – ausgerechnet Nichtunternehmer – gerne den Glaubenssatz aussprechen: Am Ende des Tages muss auch Geld verdient werden. Das ist Quatsch!
Natürlich gibt es Unternehmen, die wirtschaftlich sind und Gewinne schreiben, Gott sei Dank! Neben diesen gibt es allerdings auch eine ganze Menge Unternehmen, die weder Gewinn machen, noch den Eindruck erwecken, es jemals tun zu wollen. Sonst müssten sie schon lange anders handeln. Zwei Beispiele aus meiner eigenen Praxis verdeutlichen das.

  • Mäzen: Bei der ersten Firma handelt es sich um ein Produktionsunternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien. Über zwei Jahrzehnte hinweg, die das Unternehmen bereits existiert, gibt es zwar Jahre in denen Gewinn gemacht wurde, die Gesamtbilanz ist allerdings, unter wirtschaftlichen Aspekten betrachtet, eher schauderhaft. Die Investition hat sich bisher für den Eigentümer in keiner Weise gerechnet und das obwohl beim Wettbewerb bereits seit mehreren Jahren gute und satte Gewinne gemacht werden, die das Kapital der Eigner verzinsen. Betriebswirtschaftlich rational richtig wäre gewesen, das Unternehmen für eines der in der Vergangenheit verschiedentlich gemachten Übernahmeangebote an den Wettbewerb abzugeben. Das ist nicht geschehen weil der Eigentümer ein Kämpfer der ersten Stunde für erneuerbaren Energien ist. Da ist es am Ende des Tages egal, ob man wirtschaftlich ist oder nicht. Es ist wichtiger, mit dem gesamten Unternehmen einen Möglichkeitsraum zu schaffen, der einen in der Branche technologisch ein Wörtchen mitreden lässt und innovative Solarenergiekonzepte für Jedermann entwickelt sowie marktfähig macht.
  • Erfinder: Bei der zweiten Firma handelt es sich um ein Entwicklungsunternehmen, dass seit mehr als einem Jahrzehnt daran arbeitet, eine neue Technologie, ebenfalls im Bereich Energie, marktreif zu bekommen. Die ersten Tests, bereits aus den achtziger Jahren, versprechen entscheidende Fortschritte in technologischen Leistungsdaten und in ökologischen Gesichtspunkten wie etwa die Recyclebarkeit. Das Unternehmen durchlief zwei Insolvenzen, beide aufgrund von politischen Machtspielchen zwischen den Gesellschaftern und hat während der gesamten Firmengeschichte noch keinen Eurocent Gewinn gemacht. Natürlich hoffen hier alle auf den Durchbruch, der die Technologie marktreif und massenproduktionsfähig macht. Die lange Entwicklungszeit hat die deutlichen Unterschiede zum Wettbewerb allerdings bereits merklich reduziert und nach wie vor ist nicht sicher gestellt, dass eine Serienproduktion überhaupt möglich ist. Dennoch hält der Erfinder an seinem Traum, seiner Vision fest. Das wirtschaftliche Finish bleibt hier, auch ohne Gewinn, weiterhin offen!

Unternehmensgründungen resultieren eben nicht in erster Linie aus Wirtschaftlichkeitsüberlegungen. Schon gar nicht bewirken solche Überlegungen Entscheidungen und Handlungen von Unternehmern und Führungskräften im Sinne der Nachhaltigkeit. Keine ökonomisch noch so erfolgreiche Erfindung oder Innovation entspringt schierem Wirtschaftlichkeitsdenken. Es erzeugt nur Pseudorationalisierung. Unternehmer handeln, weil sie es wollen, können, keinen Grund sehen es nicht zu tun oder mit ihrer aktuellen Lebenssituation unzufrieden sind. Für manche mag eine beängstigende Vorstellung sein, dass Menschen etwas unternehmen, ohne irgend jemandem – nicht einmal sich selbst – zu wirtschaftlichem Wohl verhelfen zu wollen.

Wirtschaftlichkeitsüberlegungen beziehen ihre Bedeutung noch aus einer anderen Rolle: Sie dienen der Schuldzuweisung, der Hatz auf Sündenböcke, denn mit wirtschaftlichem Verlust oder Abstieg wird in unserer Gesellschaft ganz klar zwischen guten und schlechten Menschen, Gewinnern und Verlieren, Genies und arroganten Idioten unterschieden. Hätten wir mehr auf Qualität statt Quantität orientierte Erfolgsmaßstäbe, wäre unsere Gesellschaft vermutlich offener, vielfältiger und sinnhafter und wahrscheinlich gäbe es weniger Superreiche und mehr Wohlhabende. Dazu bräuchte es allerdings mehr als selbstgefällige Zahlenspiele.

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Eingeordnet unter 04 Requiem für die moderne Betriebswirtschaftslehre, Sinn-Gründer handeln nicht wegen des Gewinns

Der Betrieb als Fundament seiner Wirtschaftslehre

Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt, warum es Betriebe, eine Grundvoraussetzung für die Betriebswirtschaft, überhaupt gibt und wie sie entstanden sind? Harry Braverman und Sidney Pollard schreiben dazu:

„Kontrolle ohne Zentralisierung der Arbeitskräfte war, wenn nicht unmöglich, so sicherlich sehr schwierig, und daher war die Vorbedingung für das Management die Zusammenfassung der Arbeiter unter einem einzigen Dach.“
Harry Braverman – Die Arbeit im modernen Produktionsprozess

„… es wenige Gegenden im Land gab, wo die modernen Industrien … – sobald die Arbeit in großen Gebäuden verrichtet wurden – nicht mit Gefängnissen, Arbeitshäusern und Waisenhäusern verbunden waren. Dieser Zusammenhang wird gewöhnlich unterschätzt, vor allem von denjenigen Historikern, die davon ausgehen, dass die neuen Fabriken ausschließlich freie Arbeit rekrutierten.“
„Das moderne Industrieproletariat ist nicht so sehr durch Anreiz oder monetäre Entlohnung, sondern eher durch Druck, Gewalt und Angst in seine Rolle eingeführt worden.“
Sidney Pollard – The Genesis of modern Management

Ein Grund für den Betrieb ist sicher die einfachere Koordination und Kontrolle einer Vielzahl von Menschen innerhalb eines abgeschlossenen Raumes. Die brutal totalitären Ausprägungen der Anfangszeit sind heute selten geworden, zumindest in Westeuropa und für meine Generation sind Betriebe das Normalste der Welt. Die Grundmechaniken, die hinter diesen Mauern stattfinden dürfen, heißen allerdings weiterhin Druck, Gewalt und Angst. Sehr viel subversiver ausgeübt als noch vor einhundert Jahren und dennoch allgegenwärtig. Achten Sie einmal darauf, wenn sie das nächste Mal einen der beeindruckend bedrohlichen Großbetriebe betreten. Diese Mischung aus Wohlstand und Abhängigkeit, aus Größe und unter-Druck-stehen, aus Glanz und alkoholisiert gescheiterter Existenz ist die Krankheit, die wir im gesunden Wirtschaften mit strahlend weißen Boni-Verbänden, sterilen Mitbestimmungs-Pflastern und wirkstofflosen Betriebsversammlungs-Placebos aufhübschen.
Der Betrieb erklärt sich auch aus der Notwendigkeit zur Abgrenzung. Viele von uns denken dabei erst einmal an die systemtheoretische Notwendigkeit zur Abgrenzung von sozialen Systemen. Dahinter steckt die schlichte Erkenntnis, dass unsere Identität als Mensch Abgrenzung braucht, um sich zu definieren. Dieser Aspekt wird in Kapitel acht noch eine ausführliche Rolle spielen. In der Wirtschaftslehre braucht es die Abgrenzung vor allem für das Phänomen der externen Effekte. Sie meint damit die Auswirkungen des Handelns eines Unternehmens auf seine Umwelt, für die es nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, beziehungsweise die es in seinem wirtschaftlichen Kalkül nicht berücksichtigen muss. So stand das ausgebeinte Gebäude des Betriebs meines Vaters noch jahrelang leer, weil niemand das Risiko eingehen wollte, die Entsorgung des vermutlich kontaminierten Fundaments zu übernehmen. Die Lösung: Das Gebäude blieb einfach stehen und beherbergt heute – an der Oberfläche renoviert – die Volkshochschule. Andere Beispiele sind die Kosten, die durch schlecht oder falsch endgelagerte radioaktive Abfälle entstehen, volkswirtschaftliche Folgen aufgrund einer Bankenpleite und dergleichen mehr. Die faktische und juristische Abgrenzung des Betriebs wird von der modernen Wirtschaftslehre benötigt, um im Betrieb eigene Gesetze und Regeln, teilweise weithin losgelöst von den Regeln der Gesellschaft umzusetzen. Ein Beispiel: Die Überwachung der Mitarbeiter durch die deutsche Bahn ist zwar gesellschaftlich und moralisch fragwürdig, nach den Betriebsvereinbarungen des Konzerns aber keineswegs illegal. Ohne diese Grenze müsste sich die Lehre bereits seit langem und in allen Belangen der Komplexität des Lebens stellen. Das geschieht seit einigen Jahren sehr zaghaft, dort, wo es nicht mehr zu vermeiden ist.

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Eingeordnet unter 04 Requiem für die moderne Betriebswirtschaftslehre, Der schwere Gang in den Betrieb

Wo fängt Verantwortung an? [1]

Manuel konnte Andreas nicht verstehen, weder seine Entschlossenheit, noch überhaupt die Entscheidung, die er so mir nichts dir nichts getroffen hatte. Zu kündigen, weil er nicht mehr zum Unternehmen stehen konnte, weil er keinen Sinn mehr in den Produkten sah, die sie herstellten und der Art, wie sie vertrieben wurden. Bis heute hatte Manuel viel Respekt vor Andreas gehabt, war er doch immer der Jüngste unter seinen Kollegen und einer der Besten gewesen. Mit dem Uniabschluss, der Doktorarbeit in Biochemie und dem Aufstieg beim internationalen Pharmakonzern. Dort hatte ihn alsbald der Vorstandsvorsitzende unter seine Fittiche genommen. Aufbaustudium in Harvard, Beteiligung an den strategisch wichtigsten Projekten und mit Ende Dreißig die Ernennung zum Direktor der Forschung und Entwicklung. Andreas hatte mehr als nur das Potenzial, er war  die Verkörperung der allerorten beschworenen Höchstleistung. Und so wurde es auch vergolten. Er residierte in einem klimatisierten Eckbüro hoch über der Stadt, fuhr jahrein, jahraus seinen neuen Wunschfirmenwagen, egal um welches Modell es sich handelte. Nur der Vorstandsvorsitzende selbst hatte ein noch höheres Einkommen. Selbst bei der Familie hatte der Konzern sich kompromissbereit gezeigt, als Andreas verlangte, dass er von zu Hause aus arbeiten wolle, um Zeit mit seinen Kindern und seiner Frau zu haben und nicht in einen Scheidungskrieg zu geraten.

„Wie kannst Du so etwas wegschmeißen?“ entgeisterte sich Manuel „Das macht man nicht!“ Er teilte die Entrüstung mit seiner Schwester, Andreas Frau, für die eine Welt zusammen gebrochen war.
Andreas selbst blieb ruhig. Manuels Reaktion entsprach der seines Chefs, als er ihm seine Entscheidung eröffnet hatte. Auch dieser zählte all die Vorteile auf: Stipendium, Gehalt, Boni, Tantieme, Auto, Firmen-Ferienwohnung, Incentives und Beförderungen. All das konnte nur eine Wirkung hervorbringen: Eine motivierte, loyale und höchstleistende Führungskraft. Sicherlich keinen Menschen, der plötzlich die Sinnfrage stellt und als Konsequenz daraus zum Schluss kommt, dass das Pharmabusiness keinen Sinn macht, schon gar nicht so wie es von internationalen Multis betrieben wird, um dann zu gehen.
Andreas hatte derweil ganz andere Probleme. In sechs Wochen war er zu einem internationalen Kongress in Wien als Keynote-Redner eingeladen und stand ganz alleine vor der Problematik, die Reise zu planen, das Flugticket zu kaufen, das Hotel zu buchen, den Abflugsteig zu finden, bis dorthin ein neues Mobiltelefon zu haben und zu wissen, wie er überhaupt zum Flughafen kommen sollte. Bis vor einer Woche wurde das von seinem Sekretariat organisiert und er erhielt alles per SMS auf sein Firmensmartphone mit dem Firmenvertrag, stieg in seinen Firmenwagen, in dessen Navigationssystem bereits via Netzwerk die Route eingespeichert war. Kaum auf dem Flughafen angekommen, erhielt er pünktlich die Nachricht, in welchem Gate er einchecken musste, wo die Business-Lounge war und wen er dort treffen würde, um vor dem Abflug noch Zerstreuung in einem mehr oder weniger interessanten Businessgespräch zu finden. So fühlte sich auch Andreas neben der Rolle, allerdings weniger weil er gekündigt hatte. In der Wirklichkeit der Welt 2.0 kam er sich wie ein archaischer, oder besser, ein über das Alter behindert gewordener Fremdköper vor, hilflos und dem Kleinkind näher als der erfahrenen Abgeklärtheit des Endvierzigers. Mit einem Lächeln dachte er daran, wie sein sechzehnjähriger Sohn ihm geholfen hatte, die möglichen Fluggesellschaften und Hotels via Internet zu finden, zu sortieren und schließlich zu buchen.

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Eingeordnet unter 02 Mythos Arbeit, Wo fängt Verantwortung an?