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Chimäre Leistung

Erinnern Sie sich noch an das erste Kapitel und den sicherlich dauerhaftesten und allgemein als Eckpfeiler von Gerechtigkeit und freier Wirtschaft angesehenen Glaubenssatz über Leistung:

Leistung muss sich lohnen!“ Man kann ihn auch in anderen Variationen antreffen wie etwa: „Ausbildung muss sich lohnen!“

Achten Sie einmal darauf, wer so etwas sagt. Zumeist sind es Menschen, die im Leistungssystem gerade oben schwimmen. Es sind die gleichen Leute, die auch sagen: „Man kann nur managen, was man auch messen kann.“ Oder die darauf pochen, dass sich ein positives Unternehmensklima anhand von Kennzahlen nachweisen lassen muss. Sie zitieren gerne inspirierende Worte von Peter Drucker, Jack Welch oder Josef Ackermann und sind selbst davon überzeugt, bei ihrer persönlichen Interpretation von deren Erkenntnissen handle es sich um Naturgesetze der Wirtschaft. Diese Menschen reduzieren Erfolg gerne auf Einkommen, Macht und daraus folgende Anerkennung. Ihre einfache Rechnung lautet: Hoher Bildungsabschluss multipliziert mit Zwölf-Stunden-Tagen und der klaren Priorität auf den Job gleich Wohlstand und Einfluss.
Wie erklärt sich da der Harz-IV empfangende Doktor der Ethnologie, der seinen letzten Rest Selbstachtung aus drei Niedrig-Lohn-Jobs nährt – Kurierfahrer, Entrümpler und Volontär bei der örtlichen Zeitungsredaktion – und dafür sechzig Stunden in der Woche „auf Maloche“ ist? Ach ja – ganz vergessen – Ethnologie, Geschichte, Germanistik (Sprache überhaupt), Geographie, Soziologie, Physik, Biologie, Kreativität im Allgemeinen und im Besonderen, Architektur und dergleichen mehr, das sind ja alles brotlose Künste, da hilft natürlich alle Leistung und alle Bildung nichts; aber das weiß man bereits wenn man so etwas anfängt zu studieren. Schon klar, geht man nach brotgebenden Beschäftigungen, brauchen wir eigentlich nur BWLer und Ingenieure, ein paar Ärzte und vielleicht noch einige wenige Professoren a la Herrn Ackermann und daneben dann die Indianer, das Fußvolk, die Truppe, dann läuft die Wirtschaft. In der Politik freilich, da braucht es Pädagogen, Rechtsanwälte und Politologen. Und, damit uns der Laden nicht plötzlich vor Frust, aufgestauter Aggression, Enttäuschungen, Rangkämpfen auf der Basis natürlicher Härte und Aggression sowie spontanen Burnout-Anfällen um die Ohren fliegt, ein paar Psychotherapeuten und Psychologen, die flickschustern, wo in der bereits ledrig rauen Haut der alternden Gesellschaft eine Naht aufreißt.

Einige von uns glauben allen Ernstes, Zufriedenheit, Wohlstand und Einfluss können über Wenn-Dann-Regeln mechanisch garantiert erreicht werden. Wenn wir viel arbeiten, dann verdienen wir viel Geld. Wenn wir uns gut ausbilden, dann machen wir eine große Karriere. Wenn wir uns gegen die anderen durchsetzen, dann sind wir glücklich und zufrieden. Wirtschaftszeitschriften tischen uns die dazu passenden Hochleistungs-Sterne-Menüs auf, indem sie Artikel über die Erfolgsgeheimnisse der Schönen, Reichen und Mächtigen veröffentlichen, denen wir dann nacheifern. Wenn Steve Jobs Erfolg hat, weil er ein menschenverachtender Despot ist, wie in Kapitel vier angedeutet, dann ist das legitim und vorbildhaft für mein eigenes Verhalten.
Andere wiederum unterstellen bei dieser Weltsicht gleich ein gerüttelt Maß an Naivität und wissen selbst wiederum ganz genau, wie es wirklich geht. Wenn man ausreichend skrupellos ist, bei den miesen Spielchen der Reichen und Mächtigen mitzuspielen – wie etwa die Gewerkschaftsbosse bei Volkswagen – und dann noch viele Stunden zu arbeiten, dann kommt man ganz nach oben. Mel Gibson als Titelheld des  Films „Fletchers Visionen“ hätte ob dieser Theorien zu Leistung und wie sie sich lohnt seine wahre Freude gehabt.

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Gewalt ist eine Lösung

Manuel, seines Zeichens Vertriebsgeschäftsfüher, wusste von sich, dass er ein temperamentvolles Gemüt hatte. So zumindest der Versuch von denen, die ihm wohlgesonnen waren, seinen Charakter mit Humor positiv zu umschreiben. Hinter vorgehaltener Hand oder nach dem dritten Glas Wein sinnierte er gerne darüber, dass es für ihn dazugehörte, Mitarbeiter die in seinen Augen nicht richtig arbeiteten, auch mal vor versammelter Mannschaft abzuwatschen. Bildlich gesprochen versteht sich. Zum richtigen Zeitpunkt ein Exempel statuieren, so lehre die Geschichte, schweißt Organisationen zusammen und stutzt allzu eifrige Emporkömmlinge zurecht. Wer keine Angst vor ihm hatte, konnten die Euphorie in seinen Augen glitzern sehen, wenn er gerade einmal wieder statuierte oder darüber sprach.

Durch das neue Veränderungsprojekt, das vor vier Monaten begann, hatte er eine ganz andere Dimension seiner Leidenschaft entdeckt. Die Exekution für eine höhere Sache. Seit sie sich mit den Beratern zusammen vorgenommen hatten, nicht nur einen Prozess neu zu strukturieren, ein neues Produkt zu entwickeln oder die Administration zu verschlanken, sondern stattdessen die gesamte Kultur und vor allem das Management an sich zu reformieren, seitdem konnte er gar nicht mehr an sich halten. Seine Energie floss auf der einen Seite in produktiv konstruktive Aktionen wie die spontane Einbeziehung von Mitarbeitern aller Ebenen und Bereiche in Restrukturierungsworkshops. Auf der anderen Seite verpasste er keinen Moment, um im Namen der neuen Philosophie alte Rechnungen zu begleichen, etwa indem er unliebsame Kollegen regelmäßig ob ihrer augenscheinlichen Dummheit bezogen auf die neue Kultur öffentlich mobte. Natürlich hatte er das alleinige Recht zu verstehen, was diese neue Kultur ausmachte. Es war die Mischung aus vorwärts Stürmen und das Kriegsbeil nieder krachen lassen, wie man es aus modernen Heldenepen a lá Braveheart oder auch Mangastreifen im Stile von Kill Bill kennt. Natürlich ohne Blutvergiessen oder abgetrennten Gliedmaßen. Die Gewalt, die er im Namen der Sache ausüben konnte, genoss er und zelebrierte sie.

Wir alle kennen solche Menschen. Brachiale Egoisten, die keine Scheu haben, Gewalt auszuüben, um einen persönlichen Vorteil zu erreichen. Vielleicht haben Sie jetzt gerade das Bild einer solchen Person aus ihrem Umfeld vor Ihrem geistigen Auge? Schrecklich, unmoralisch, ethisch zweifelhaft und doch sind gerade auch sie faszinierend. Das System scheint sie zu brauchen, so wie unser Immunsystem weiße Blutkörperchen braucht, die einen Krankheitserreger auch nicht erst einmal danach fragen wie es ihm geht und wie schwer seine Jugend war, bevor sie ihn auffressen. Wie sonst wäre es zu erklären, dass wir sie in unseren Unternehmen immer wieder gewähren lassen. Sie blasen sich auf, teilen ordentlich aus, sind selbst mimosenhaft sensibel, hängen den Macho oder die streitbare Amazone heraus, spielen mit allem was sie haben – Kraft, Sex, Macht – und haben ungeschminkte Lust an ihrem Verhalten. Zum Glück sind wir anders, haben Anstand und Moral, sind ethisch, mitfühlend und kennen die guten Manieren zwischenmenschlichen Verhaltens.
Die Gewalt dessen, der verbal oder physisch auf einen anderen einschlägt ist unverhohlen, offen, transparent. Die Gewalt derer, die via Gerüchteküche, Politik oder Meinungsäußerung in Abwesenheit der Betroffenen Rangordnungen und Verantwortungen verändern, ist gedeckelt, zurückgezogen, undurchsichtig. Dennoch ist beides Ausdruck von Gewalt und wer es noch nicht gemacht hat werfe den ersten Stein aus seinem Glashaus heraus. Robin Dunbar erkennt in der Sprache, die zu mehr als sechzig Prozent aus Klatsch und Tratsch besteht, vor allem den Nutzen, dass wir uns nicht mehr prügeln müssen. Wir können unsere Rangkämpfe jetzt abstrakt ausführen. Allerdings bleiben es Rangkämpfe. So stellen sich die Integren und moralisch Korrekten über die primitiven physischen Gewalttäter und beanspruchen, gewaltfrei zu sein.
Erst wenn wir anerkennen, dass Gewalt zu uns gehört wie Fortpflanzung, Essen, Trinken und Atmen, dass sie ein natürlicher Anteil unserer Menschlichkeit ist, dass wir Lust empfinden, wenn wir sie ausüben und wenn wir uns dann auch in dieser Beziehung annehmen wie wir sind, können wir anfangen, mit unserem Gewaltpotential, das sicherlich sehr unterschiedlich ist, konstruktiv umzugehen. Bis dahin werden wir sie weiterhin gerade in unserer Arbeitswelt gegen andere Menschen richten. Schließen wir Frieden mit unserer eigenen Gewalt und geben ihr einen Raum, sei es im Sport, in Schachturnieren, beim Improvisationstheater, in der Malerei oder bei lauter Musik aus dem Autoradio, dann werden wir fähig wirklich zu kooperieren!

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