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Kein Schlaraffenland und doch eine schöne neue Welt

„Sinnkopplung, Sinnkopplung!“ Sabine wurde schon beinahe hysterisch, weil sie das Wort nicht mehr hören konnte. Seit einigen Wochen war es ihr Unwort des Jahres. Oder anders gesagt, seit ihr Mann, Andreas, danach strebte. Bis dahin waren sie das gutbürgerliche Ideal gewesen: Verheiratet, zwei Kinder, beide studiert, er hatte eine gehobene Führungsposition, sie war nach der Babypause in den Beruf zurückgegangen und arbeitete in einer Querschnittfunktion der Direktionsebene ihres Unternehmens zu. Für ihren durchaus anspruchsvollen aber keineswegs übertriebenen Lebensstil hatten sie ausreichend Geld, und man sollte annehmen, dass die damit möglichen privaten Freiheiten ausreichten, um stressige und unbefriedigende Zeiten im Job kompensieren zu können. Doch weit gefehlt. Sie wusste zwar, dass ihr Mann seit Jahren mit seiner Arbeit eher unzufrieden war, wie schlimm es wirklich stand, hatte er allerdings erst in den vergangenen Monaten zum Ausdruck gebracht. Der Auslöser war eine Situation, in der Andreas beinahe seine Anstellung verloren hatte.

Andreas war in seinem Geschäftsbereich zuständig für IT und damit natürlich auch für das Thema IT-Sicherheit. Eines Tages wurde ein Mitarbeiter aus einem anderen Geschäftsbereich bei ihm vorstellig und wies ihn auf Sicherheitslücken in der Unternehmens-IT hin. Andreas verlangte Beweise und sagte seinem Kollegen, wenn es so einfach wäre, solle er doch von außen in das Rechenzentrum des Unternehmens eindringen. Am nächsten Morgen legte ihm der Mitarbeiter Unterlagen vor, die eindeutig aufzeigten, dass er in der vergangenen Nacht von zu Hause aus Dinge im Rechenzentrum verändert hatte. Andreas ging damit sofort zur Geschäftsführung und wurde von ihr maßlos überrascht. Weder ging sie auf den Sachverhalt der offensichtlichen Sicherheitsmängel ein, noch ergriff sie Maßnahmen, daran etwas zu ändern. Stattdessen wurde ihm aufgezeigt, welche disziplinarischen Verfehlungen er begangen hatte, weil er nicht gleich gestern – ohne Beweise – mit dem Anliegen zur Geschäftsführung kam, den direkten Vorgesetzten des Mitarbeiters nicht hinzugezogen hatte und er den anderen Geschäftsbereich offensichtlich noch immer nicht informiert hatte, welche Art illegaler Recherchen ihr Mitarbeiter in seiner Freizeit betrieb. Der Personalleiter nahm Andreas gleich im Anschluss an die Besprechung zur Seite und erklärte ihm im Vertrauen: „Die Sache sieht nicht gut für sie aus. So wie die Dinge stehen, muss jemand die Verantwortung übernehmen und mit ihrem Vorgehen, haben sie sich praktisch zum Top-Kandidaten gemacht.“ Andreas verstand die Welt nicht mehr.

In der Folgewoche war er das Zentrum einer politischen und intriganten Schlammschlacht zwischen den beiden Geschäftsbereichen und ihren Führungskräften. Als guter Taktiker, der er über die Jahre geworden war, konnte er sich sukzessiv aus dem Zentrum des Getümmels an seine Peripherie bewegen und von dort aus zusehen, wie der aufdeckende Mitarbeiter, sein direkter Vorgesetzter und einer seiner eigenen Teamleiter die Verantwortung für den Sachverhalt und damit ihren Hut nehmen mussten. Die Gründe, warum es diese Personen traf, waren einfach: Der Entdecker des Sicherheitslecks hatte sich illegal verhalten und war aus wichtigem Grund fristlos und ohne Entschädigungszahlung kündbar. Sein Vorgesetzter hatte offensichtlich in der Vergangenheit versäumt, die Sicherheitslücke, für die im übrigen ein anderer Bereich formal zuständig war, zu schließen. Außerdem stand er schon geraume Zeit auf der Abschussliste des gesamtverantwortlichen Personalleiters. Er wurde abgemahnt und es wurde mit ihm eine betriebliche Kündigung mit reduzierter Entschädigung vereinbart. Andreas‘ Teamleiter war ein Bauernopfer, seine Anstellungszeit war die kürzeste und somit konnte man sich von ihm am Einfachsten trennen.
Es war nicht das erste Mal, das Andreas so etwas miterlebte. Allerdings hatte er sich zum ersten Mal selbst auf der Anklagebank wiedergefunden und musste mit miesen Tricks seine Anstellung retten. Mit dieser Aktion verlor die Anstellung in seinen Augen jeden Wert. Die Entwertung wurde dabei noch dadurch beschleunigt, dass er nicht wusste, ob das Sicherheitsproblem inzwischen beseitigt worden war. Danach zu fragen, wollte und konnte er sich nicht erlauben.
Was er sich erlaubte, war die Suche nach einem anderen Job. Doch dieses Mal waren nicht Karriereaussichten, Einkommen oder Firmenwagen die Maßstäbe für eine gute Anstellung. Nach über fünfzehn Jahren in der Befriedigungsmaschine für die Karriere und die vagen Vorstellungen dessen, was ein gutes Leben ausmacht, wollte er endlich etwas Sinnvolles tun, dass ihn vor allem erfüllte.

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Eingeordnet unter 08 sinnhaft leisten, Kein Schlaraffenland und doch eine schöne neue Welt

In Masse intelligent Sinn finden, anstatt gesund zu verdummen [3]

Intelligenz ist in Masse nicht nur möglich, sie ist dringend nötig, nehmen wir uns selbst und unsere Wahrnehmung der komplexer und turbulenter werdenden Welt ernst. Es ist allerdings kurzsichtig anzunehmen, dass neue Kommunikationstechnologien und die drängelnde Globalisierung ausreichen, um schnell und übergreifend diese Intelligenz zu erschließen. Sie war schon immer da und so gab es auch schon immer die Option, sie für Entscheidungen zu nutzen (siehe Vergleichstabelle). Was also hindert uns daran?

Es sind seit jeher andere Mechanismen, als technologische oder kommunikative Unmöglichkeit, die sie blockieren. Es ist unser Wissen um das verheerende Zerstörungspotential von wildgewordenen Mobs und der Glaube, dies sei die einzige primitiv kognitive Ausdrucksmöglichkeit von Massen. Gerade so, wie die ausländerfeindlichen Ausschreitungen von Lichtenhagen 1992. Dabei gab es und gibt es immer wieder Beispiele für friedliche und durchaus intelligente Massenbewegungen wie etwa zum Ende der DDR oder nach den Bombenanschlägen in Madrid im Jahr 2004.

In unseren Firmen herrscht der Glaube, Wiederstand richtet sich einem Naturgesetz gleich, selbst wenn friedlich, von den unterdrückten Denkdelegierern in Gewerkschaftsstreiks gegen die Denkregulierer. Es ist zudem die Sehnsucht der Denkregulierer, der sozialen Auseinandersetzung mit den Delegierern entfliehen zu können, ohne ihren Status und ihre Privilegien aufzugeben. Es ist die Furcht vor den Entscheidungen, die aus Schwärmen heraus getroffen werden. Es ist die Angst, unbedeutend in einer Masse unterzugehen oder, aufgrund einer unvorhergesehenen Situation, plötzlich innerhalb der Masse individuell im Scheinwerferlicht zu stehen. So wie es Adolf Sauerland ergangen ist, seines Zeichens Duisburger Oberbürgermeister und politische zentrale Figur in der Auseinanderseztung um die tödliche Massenpanik bei der Loveparade 2010.

Menschenmassen beinhalten Gefahren, vor allem dort wo man sie einsperrt, kontrolliert, pfercht, verängstigt und politisch oder gar demagogisch anheizt. Mit durchlässigen Grenzen, transparentem Denkraum und der Notwendigkeit ihn auch zu nutzen, mit klugen Abstimmungsmöglichkeiten und einbeziehender Kommunikation ist die Intelligenz von Menschenmengen ein wichtiger, richtiger und sicherlich notwendiger Quell für existenzsichernde Veränderungen auch und gerade in Unternehmen.

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Eingeordnet unter 06 Masse mit Klasse, In Masse intelligent Sinn finden anstatt gesund zu verdummen

Von Prinzipalen, Agenten und anderen zwielichtigen Subjekten

Dabei ist es nicht so, dass Frank Müller keine soziale Interaktion möchte, er will sie halt so wenig wie irgend möglich in der Firma. Und warum sollte er sie auch benötigen, er ist ja schließlich der Eigentümer, der Unternehmer, da muss es doch möglich sein, sich des Ballastes zu entledigen, Chef zu sein, und einfach die Erträge des Unternehmens auszukosten.

In der Wirtschaftswissenschaft kommt genau bei diesem Gedankengang von nirgendwoher ein Schlauberger um die Ecke und erklärt ihm die großartige Prinzipal-Agent-Theorie: „Sie sind der Prinzipal und sie brauchen einen Agenten! Sie brauchen jemanden, der in ihrem Auftrag handelt und ihre Interessen im Unternehmen unabhängig von ihrer Anwesenheit durchsetzt. Mit einem Wort, sie brauchen einen Geschäftsführer.“ Frank lässt sich davon, mit Blick auf die in Aussicht gestellte Freiheit, schnell überzeugen, er und der Schlauberger lächeln frohgemut und schon bald ist der Agent (der Geschäftsführer) für den Prinzipal (Frank Müller) gefunden und in Amt und Würden.

Doch so einfach lässt sich der soziale Prozess nicht aushebeln. Schon bald verfolgt der Agent eigene Interessen, entwickelt ein eigenes Verständnis für das Wohl und die Wehen des Unternehmens, bildet Seilschaften mit informellen Führern und erklärt Frank nach nicht einmal zwei Jahren, er solle doch mit den Erträgen, die er jedes Jahr ausgeschüttet bekommt, zufrieden sein und sich aus dem Alltagsgeschehen heraus halten. Schließlich wäre es ja genau das, wofür er, Frank, ihn, seinen Agenten, eingesetzt habe. Frank ist sich indes seiner Sache nicht mehr so sicher, die Firma verfolgt inzwischen Ziele – wie radikale Expansion oder auch stabilisierende Stagnation – und es wurden Praktiken etabliert – wie Überwachungskameras oder vielleicht Mitarbeitergewinnbeteiligungen – , für die sich sein Vater im Grab herum drehen würde und die so gar nichts mehr mit den Gründungsprinzipien der Firma zu tun haben. Frank zieht die Reißleine und tauscht den Agenten aus. Der nächste Kandidat ist vorsichtiger und wartet drei Jahre, doch dann kommt es zur selben Konfrontation.
Was passiert hier? Frank Müller entzieht sich dem sozialen Prozess seines Unternehmens. Er möchte die Interaktion mit Kollegen tunlichst vermeiden und Gedanken und Ideen nachgehen, die nichts mit der Firma zu tun haben. Das ist für sich genommen vollkommen in Ordnung. Damit er das tun kann, will er allerdings weiterhin, nur eben ohne zwischenmenschliche Wechselwirkungen, vom Unternehmen unterhalten werden. Jetzt beginnen die Probleme. Keine soziale Gemeinschaft – und Unternehmen sind eben doch soziale Gebilde und keine rationalen Gewinnmaximierungsmaschinen – will und kann sich dauerhaft teure und/ oder mächtige Schmarotzer leisten. Wer aus der zwischenmenschlichen Interaktion, aus den sozialen Prozessen aussteigt, gibt seine Einflussnahme auf. Sicherlich kann man über Verträge, Agenten, Verwalter, Überwachungssysteme und dergleichen mehr Einflussnahmemöglichkeiten erhalten, diese sind allerdings nur noch reine Vergangenheitsverwaltung. Aktiv Einfluss nehmen kann nur, wer im Moment der Entscheidung und der Handlung da ist. Wer sich im Nachgang informiert, ein Bild macht oder aufklärt, kommt über die Rolle des Richters und Henkers nicht mehr hinaus. Und auch hier, wie in Kapitel fünf bei der Motivation, stellt sich bei genauem Hinschauen heraus, dass ein Unternehmer oder eine Führungskraft, die ihre Interessen von einem Agenten vertreten lässt, egal ob offiziell oder informell, dem sozialen System fremd und unnatürlich ist. Es gibt schon genug Richter, die im realen sozialen Prozess urteilen und ausreichend Vollstrecker gibt es auch. Es sind Kunden, Kollegen, juristische Richter, Lieferanten, Verbandsvertreter, Banken und so weiter und so fort. Sie alle haben normalerweise konkrete und reale zwischenmenschliche Anlässe, sich einzumischen, keine verwalterischen.
Frank und alle, die den sozialen Prozess mit Agenten versuchen in seine Schranken zu weisen, handeln ungefähr so, als ob Sie zu Ihrem Banker, dem Sie Ihr Geld anvertraut haben, hingehen würden und ihn fragen: „Und wie arbeiten Sie denn? Glauben Sie das ist effektiv? Wann kommen Sie denn ins Büro und wann machen Sie Feierabend?“ Ich kenne niemanden, der so etwas schon mal gemacht hätte. Das ist auch vollkommen logisch. Mit den Abläufen, dem Mobbing, dem Leistungsdruck, den Kaffeekränzchen, den politischen Ränkespielen und den Betriebsfeiern der Bank will man gar nichts zu tun haben, man will nur seine Zinsen genießen. Man hält sich aus dem sozialen Prozess der Zinserwirtschaftung raus, gibt die eigene Einflussmöglichkeit ab. Als einziges Mittel bleibt die Umschichtung des Geldes auf andere Anlagen und zu anderen Banken, mehr gibt es da nicht. Das ändert sich, wenn Sie einen Kredit haben wollen und keine wirklich guten Sicherheiten haben. Da kann, trotz aller Basel II und sonstiger Blockadepraktiken, der direkte soziale Kontakt zum Bankangestellten durchaus lohnend sein – sprich der soziale Prozess.

Wer Einfluss nehmen, Entscheidungen treffen, mit einem Unternehmen handeln und vor allem dauerhaft davon nutznießen möchte, sollte integrierter Bestandteil des Sozialgefüges sein oder sich davon verabschieden. Alles andere schadet sowohl dem Prinzipal wie dem Agenten und nicht zuletzt, in Form von bürokratischen Wasserköpfen, dem Unternehmen selbst.

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