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Die Lehre ist eine Hymne gegen die Menschen [2]

R. H. Coase hat 1937 einen Aufsatz mit dem Titel „The nature of the firm“ geschrieben. In diesem Aufsatz stellt er die betriebswirtschaftlichen Koordinationsprinzipien von Unternehmen gegenüber. Eines ist die oben beschriebene Preisbildung auf dem liberalisierten Markt. Ein Zweites leitet sich direkt aus dem Eigentum ab und ist das Bestimmungsrecht des Unternehmers über die Art der Verwendung und Verwertung seines Kapitals. Coase erklärt ausführlich die Konflikte und gegenseitigen Begrenzungen dieser beiden Systeme und stellt vor allen Dingen klar, dass alle freie Preisbildung dem Unternehmer nicht das Recht nehmen kann, sein Eigentum so zu benutzen, wie es ihm gefällt. Da wird schon recht schnell deutlich, wie sehr die Betriebswirtschaft vom Subjekt des Unternehmers abhängig und keineswegs objektiv ist.

Für die Belegschaft kommt es allerdings noch dicker. Sie sind nicht nur abhängig vom Preis der Güter und Dienstleistungen sowie der Willkür des Unternehmers. Unter dem Deckmantel der objektiven Wissenschaft wurde nicht der freie Wettbewerb, sprich die Vergleichbarkeit von Unternehmen voran getrieben. Die Unternehmer erreichten vielmehr die Austauschbarkeit von Arbeitsplätzen und Qualifikationen. Braucht man heute einen neuen Mitarbeiter, etwa eine Sekretärin oder einen Ingenieur, wird nach Funktionen gesucht, nicht nach Menschen. Klar sollte die Chemie stimmen, dennoch steht das Individuum einem Wettbewerb um Arbeitsplätze gegenüber, in dem es als Funktion nur geringe Möglichkeiten hat, sich aus der Masse hervor zu heben. Eine Sekretärin bleibt eine Sekretärin, ein Chemiker ein Chemiker, der BWLer ein BWLer und die Fleischfachverkäuferin eine Fleischfachverkäuferin, auch wenn uns unterschiedliche Schulnoten und Zertifikate vorgaukeln, wir würden uns unterscheiden. Unter uns Menschen gibt es ihn also, den freien, transparenten und gnadenlosen Wettbewerb. Zwischen den Unternehmen wird er zwar inszeniert, in der Wirklichkeit findet er allerdings schlicht nicht statt.

Was das heißt, macht Harry Braverman am Beispiel des Fließbandes von Ford deutlich:

„In dem Maße wie Ford durch den Wettbewerbsvorteil, den er errang, dem Rest der Autoindustrie das Fließband aufzwang, in genau demselben Maße waren die Arbeiter durch das Verschwinden anderer Formen der Arbeit in jener Industrie gezwungen, sich ihm zu unterwerfen.“
Harry Braverman – die Arbeit im modernen Produktionsprozess

Ich höre schon den aufgeklärten Widerspruch: „Wir können alle selbst entscheiden, ob wir dabei mitmachen oder nicht!“ Und stimme dem in letzter Konsequenz auch zu. Dennoch spricht die gelebte Wirklichkeit eine andere Sprache als die aufgeklärte Philosophie. Denn es ist doch sehr viel verlangt, angesichts der Möglichkeiten die der Tochter eines Ingenieur-Betriebswirtinnen-Paares im Vergleich zum Sohn eines Lidl-Kassiererin-Harz-IV-Empfänger-Paares gegeben sind, dass die sozial bevorteilten den Robin Hood mimen und sich gegen die Gleichmachung der Arbeit aufbäumen. Denn sie haben meistens die Eintrittskarte in eine Erwerbskaste bereits gelöst, mit der die Chancen nicht gar so schlecht stehen, ein gutes Leben zu haben. Da ist es nur allzu verständlich, wenn sich diese Kaste gegen eine zu starke unternehmerische Einmischung aus der Niedrigeinkommensschicht zur Wehr setzt.
Nichtsdestotrotz: Ein kooperatives, humanes Unternehmen, an dem seine Mitarbeiter in lebensbejahender Form teilhaben, braucht den mutigen Schritt in Richtung Demokratie. Eine Gesellschaft ist ohne Zweifel komplexer als unsere Unternehmen und dort hat sich die Demokratie als sehr robust und erfolgreich erwiesen! Angesichts dieser Erfahrung: Suchen wir unser Heil doch bitte nicht in totalitären und planwirtschaftlichen Unternehmen!
Sinnvoll wirtschaftende Unternehmen zeichnen sich durch Menschen aus, die intelligent, verantwortungsvoll und wirtschaftlich miteinander arbeiten wollen. Das wird nur mit der Koordination durch die Arbeitenden selbst gehen. Dazu braucht es die Möglichkeit für alle, ganz unabhängig von Karriere, Führungsverantwortung oder Erpressung durch Wissensweitergabeverweigerung, finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen. Erst wenn sich alle Menschen durch ihre Tätigkeit im Unternehmen vom materiellen Zwang befreien können, wenn die Lehre also darauf verweist, dass sich die Mitarbeit vom willigen Menschen und nicht von seiner abhängig zu erfüllenden Funktion ableitet, erst dann kann auch von einer Lehre für die Menschen gesprochen werden. Neben den von Coase genannten zwei Koordinationsmechanismen Markt und Unternehmer fehlt dazu heute sicherlich der notwendige Dritte der frei-willigen und unabhängigen Mitarbeit im Unternehmen.

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Gewalt ist eine Lösung

Manuel, seines Zeichens Vertriebsgeschäftsfüher, wusste von sich, dass er ein temperamentvolles Gemüt hatte. So zumindest der Versuch von denen, die ihm wohlgesonnen waren, seinen Charakter mit Humor positiv zu umschreiben. Hinter vorgehaltener Hand oder nach dem dritten Glas Wein sinnierte er gerne darüber, dass es für ihn dazugehörte, Mitarbeiter die in seinen Augen nicht richtig arbeiteten, auch mal vor versammelter Mannschaft abzuwatschen. Bildlich gesprochen versteht sich. Zum richtigen Zeitpunkt ein Exempel statuieren, so lehre die Geschichte, schweißt Organisationen zusammen und stutzt allzu eifrige Emporkömmlinge zurecht. Wer keine Angst vor ihm hatte, konnten die Euphorie in seinen Augen glitzern sehen, wenn er gerade einmal wieder statuierte oder darüber sprach.

Durch das neue Veränderungsprojekt, das vor vier Monaten begann, hatte er eine ganz andere Dimension seiner Leidenschaft entdeckt. Die Exekution für eine höhere Sache. Seit sie sich mit den Beratern zusammen vorgenommen hatten, nicht nur einen Prozess neu zu strukturieren, ein neues Produkt zu entwickeln oder die Administration zu verschlanken, sondern stattdessen die gesamte Kultur und vor allem das Management an sich zu reformieren, seitdem konnte er gar nicht mehr an sich halten. Seine Energie floss auf der einen Seite in produktiv konstruktive Aktionen wie die spontane Einbeziehung von Mitarbeitern aller Ebenen und Bereiche in Restrukturierungsworkshops. Auf der anderen Seite verpasste er keinen Moment, um im Namen der neuen Philosophie alte Rechnungen zu begleichen, etwa indem er unliebsame Kollegen regelmäßig ob ihrer augenscheinlichen Dummheit bezogen auf die neue Kultur öffentlich mobte. Natürlich hatte er das alleinige Recht zu verstehen, was diese neue Kultur ausmachte. Es war die Mischung aus vorwärts Stürmen und das Kriegsbeil nieder krachen lassen, wie man es aus modernen Heldenepen a lá Braveheart oder auch Mangastreifen im Stile von Kill Bill kennt. Natürlich ohne Blutvergiessen oder abgetrennten Gliedmaßen. Die Gewalt, die er im Namen der Sache ausüben konnte, genoss er und zelebrierte sie.

Wir alle kennen solche Menschen. Brachiale Egoisten, die keine Scheu haben, Gewalt auszuüben, um einen persönlichen Vorteil zu erreichen. Vielleicht haben Sie jetzt gerade das Bild einer solchen Person aus ihrem Umfeld vor Ihrem geistigen Auge? Schrecklich, unmoralisch, ethisch zweifelhaft und doch sind gerade auch sie faszinierend. Das System scheint sie zu brauchen, so wie unser Immunsystem weiße Blutkörperchen braucht, die einen Krankheitserreger auch nicht erst einmal danach fragen wie es ihm geht und wie schwer seine Jugend war, bevor sie ihn auffressen. Wie sonst wäre es zu erklären, dass wir sie in unseren Unternehmen immer wieder gewähren lassen. Sie blasen sich auf, teilen ordentlich aus, sind selbst mimosenhaft sensibel, hängen den Macho oder die streitbare Amazone heraus, spielen mit allem was sie haben – Kraft, Sex, Macht – und haben ungeschminkte Lust an ihrem Verhalten. Zum Glück sind wir anders, haben Anstand und Moral, sind ethisch, mitfühlend und kennen die guten Manieren zwischenmenschlichen Verhaltens.
Die Gewalt dessen, der verbal oder physisch auf einen anderen einschlägt ist unverhohlen, offen, transparent. Die Gewalt derer, die via Gerüchteküche, Politik oder Meinungsäußerung in Abwesenheit der Betroffenen Rangordnungen und Verantwortungen verändern, ist gedeckelt, zurückgezogen, undurchsichtig. Dennoch ist beides Ausdruck von Gewalt und wer es noch nicht gemacht hat werfe den ersten Stein aus seinem Glashaus heraus. Robin Dunbar erkennt in der Sprache, die zu mehr als sechzig Prozent aus Klatsch und Tratsch besteht, vor allem den Nutzen, dass wir uns nicht mehr prügeln müssen. Wir können unsere Rangkämpfe jetzt abstrakt ausführen. Allerdings bleiben es Rangkämpfe. So stellen sich die Integren und moralisch Korrekten über die primitiven physischen Gewalttäter und beanspruchen, gewaltfrei zu sein.
Erst wenn wir anerkennen, dass Gewalt zu uns gehört wie Fortpflanzung, Essen, Trinken und Atmen, dass sie ein natürlicher Anteil unserer Menschlichkeit ist, dass wir Lust empfinden, wenn wir sie ausüben und wenn wir uns dann auch in dieser Beziehung annehmen wie wir sind, können wir anfangen, mit unserem Gewaltpotential, das sicherlich sehr unterschiedlich ist, konstruktiv umzugehen. Bis dahin werden wir sie weiterhin gerade in unserer Arbeitswelt gegen andere Menschen richten. Schließen wir Frieden mit unserer eigenen Gewalt und geben ihr einen Raum, sei es im Sport, in Schachturnieren, beim Improvisationstheater, in der Malerei oder bei lauter Musik aus dem Autoradio, dann werden wir fähig wirklich zu kooperieren!

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