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Paradoxe Pseudorationalisten

„… ist die industrielle Logik, die wir vor drei Jahren ausgerufen haben, ja absolut erhalten geblieben. Wir haben immer gesagt: Porsche wird eine Marke in einem integrierten Automobilkonzern werden müssen.“

Michael Macht am 26. November 2009 im Interview mit Jörg Münchenberg vom Deutschlandradio

„Aus der Finanzkrise ergeben sich keine unmittelbaren Risiken für die Haushaltsplanung. Die Bundesregierung behält daher das Ziel bei, möglichst 2011 einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen“
Peer Steinbrück, Bundesfinanzminister, am 26. Oktober 2008

Wir sprechen sie gelassen aus, Sätze wie „Lassen sie uns sachlich bleiben.“, „Zurück zur Sache.“, „Rational betrachtet …“, „Schauen wir uns einmal die Fakten an, …“ oder „Objektiv gesehen, ohne es beurteilen zu wollen …“.
Bei Michael Macht heißt sie die Industrielle Logik, Peer Steinbrück versteckt sich hinter der Haushaltsplanung. Beide huldigen sie den goldenen Kälbern der objektiven Rationalität, der kalten Sachlichkeit, der entfühlten Wahrheit von scheinbaren Fakten. Andreas Zeuch nennt diese Menschen „paradoxe Pseudorationalisten“. Sie sind mindestens auf zwei Ebenen anzuzweifeln. Auf einer übergreifenden Ebene wird ein pseudorationales Konstrukt, wie etwa die Industrielle Logik benutzt, um mit scheinbaren oder sogar widerlegten Fakten die Überlegenheit der Rationalität im Umgang mit einer Sachlage, wie etwa der Zwangsfusion mit Volkswagen, herauszustellen. Unter dem Deckmantel der Rationalität wurden Milliarden von Euro vernichtet, eine Börsenblase sondergleichen produziert, tausende von Arbeitsplätzen gefährdet sowie eine hoch angesehene Marke zumindest riskiert und das alles, damit zwei äußerst irrational aufgestellte Cousins sich beweisen können, wer der mächtigere Wirtschaftsmogul ist.
Auf der persönlichen Ebene stellen sie sich mit irrationalen Argumenten als Rationalisten dar. Natürlich hat die Finanzkrise keine Auswirkungen auf eine Haushaltsplanung. Jede Planung ist ja nur der Toner auf Papier der eine Fatamorgana der Zukunft beschreibt. Das allerdings als Argument zu nutzen, um am Ziel eines Haushaltes ohne Neuverschuldung festzuhalten, während die härteste Wirtschaftskrise seit 1929 über die Welt herein bricht, ist so romantisch grotesk unwirklich wie eine Lobeshymne auf die Schönheit von smogviolettorangegrünen Sonnenuntergängen über Mexiko City.
Antonio Damasio hat uns gezeigt, dass reine, kühle, sachliche Rationalität gleichzusetzen ist mit der Unfähigkeit zu priorisieren und sinnvolle Entscheidungen zu fällen. Er weist nach, dass es keine gute Entscheidung gibt, die nicht aus intuitiven, emotionalen und rationalen Anteilen besteht. Andreas Zeuch charakterisiert das Ideal vom rationalen Homo oeconomicus deshalb auch treffend als Untoten. Nassim Taleb erläutert höchst faszinierend, wie nahe der Zufall wirklich an uns heran kommt und wie viel Einfluss unvorhergesehene Ereignisse im Positiven wie im Negativen auf unser Zusammenleben haben. Dennoch glauben viele Experten und sogar die Vorstände der Großkonzerne und börsennotierten Unternehmen an Ihre Planzahlen und ignorieren die möglichen Alternativen. James Sourowiecki veranschaulicht eindrucksvoll die Begrenztheit des Individuums bei Entscheidungen und demgegenüber die Qualität und Leistungsfähigkeit, die in Gemeinschaften verborgen liegt. Trotzdem werden die wichtigen, richtungweisenden, strategischen Entscheidungen weiterhin von Einzelpersonen an der Spitze oder kleinen Gremien getroffen.
Argumente, die das ökonomische Ideal einer vernünftigen, voll informierten sowie rational entscheidenden und handelnden Unternehmerpersönlichkeit widerlegen, kommen aus den Naturwissenschaften, der Medizin, der Psychologie und anderen Bereichen. Ihre Zahl wächst mit dem Fortgang des „Business as usual“ und seiner Krisen. Die Darstellung wirtschaftsmenschlichen Verhaltens verharrt trotzdem im Reich des untoten Homo oeconomicus: Längst widerlegte Argumente werden genutzt, um ein pseudorationales und pseudowissenschaftliches Modell für die Wirklichkeit auszugeben. Die Chance für uns Menschen liegt aber nicht im Glauben an unsere rationale Allmacht. Sie findet sich in Achtsamkeit und Demut gegenüber einer Wirklichkeit, die uns – freilich nicht ohne Anstrengung – viel mehr bietet als restlos aufgehende Rechenschemata.

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Eingeordnet unter 03 Menschenbildstörung, Paradoxe Pesudorationalisten

Menschen funktionieren nicht [2]

Schärfer, als es je ein Geschäftsführer formulieren würde, hat James R. Bright von der Harvard Business School den Wunsch nach Funktion ausgedrückt:

„Abstrakt gesehen sind alles dies nichts anderes als Versuche, die Menschen dazu zu zwingen, an denjenigen Stellen der Fertigungsstraße, wo Maschinen nicht verfügbar oder nicht wirtschaftlich sind, widerspruchsfrei in der gewünschten Weise zu arbeiten. … Das Bestreben geht dahin, zeitlich festgelegte, voraussagbare, konsistente Produktionsarbeit von den Menschen zu erhalten. Doch ein solches Verfahren kann zwangsläufig nicht perfekt sein. Als Glieder oder »Widerstände« in der Supermaschine sind Menschen nicht mechanisch zuverlässig. Weder »reagieren sie widerspruchsfrei in der gewünschten Weise«, noch können sie dazu gezwungen werden.“

Genau hieraus erwächst der Wunsch nach „unternehmerischem Denken und Handeln“ der Mitarbeiter. Die „mechanischen Unzuverlässigkeiten“, die der Mensch von Natur aus hat, sollen also ausgeglichen werden, indem man ihn auf das Unternehmenswohl – meist gleichgesetzt mit dem Unternehmensprofit – einschwört. Nun sind mechanistische „Unzuverlässigkeiten“ nicht einfach nur Widerstände, es sind Intelligenz, Intuition, Empathie, Gestaltungswille, Fähigkeit zur Improvisation usw. Unterdrückt ein Mensch, um zu funktionieren, Hirn und Gefühle – wie soll er den Spagat zum Unternehmertum, zur Selbständigkeit meistern? Geschäfteführern fällt es erstaunlich schwer, diesen Widerspruch zwischen persönlicher Integrität der Mitarbeiter und mechanischem Funktionieren wahrzunehmen.

Wie weit wir dieses Verfunktionieren getrieben haben, macht eine Urlaubsanekdote deutlich. Auf einem Parkplatz an der Costa Brava stellten wir unser Auto ab. Wir brauchten einen Parkschein und so machte ich mich auf den Weg zum entsprechenden Automaten. Bei der Maschine handelte es sich um ein deutsches Fabrikat. Während ich den Parkschein löste, entdeckte ich einen Sprach-Knopf. Meine Neugierde war geweckt, welche Sprachen sich dort wohl finden ließen und so drückte ich ihn. Die Anzeige sprang sofort vom spanischen „Bienvenido“ auf das regional gesprochene katalanische „Benvingut“. Der nächste Drücker brachte das italienische „Benvenuti“ zum Vorschein und dann kam auf Französisch „Bienvenue“. Die Logik war klar und doch wollte ich jetzt wissen, ob es auch eine deutsche Begrüssung gab, also drückte ich erwartungsfroh weiter und nach dem englischen „Welcome“ musste ich schallend lachen, stand da doch „Betriebsbereit“ im Display.

Das Paradox von Funktion und Unternehmertum lässt sich auflösen, erkennt man die Absurdität der Objektivierung menschlicher Arbeit. Unsere Fähigkeiten und Talente sind nicht in quantifizierte, gemessene Funktionen zu packen, zu standardisieren und in Formeln verwertbar, wenn man ein sinnvolles, ein menschliches Ergebnis haben möchte. Wir müssen uns vorurteilsfrei ein neues Bild von Arbeit generell machen. In diesem Bild sollen Menschen nicht mehr aufs Funktionieren reduziert werden. Stattdessen sind sie dazu da, etwas zu unternehmen. Dafür braucht es weniger messende Methoden für geschlossene Systeme. Stattdessen benötigen wir mehr agil adaptive soziale Vorgehensweisen in offenen Systemen. Die Devise kann lauten: Raus aus der taylorschen Funktions-Leichenstarre und hinein in ein menschlich erfüllendes Arbeiten.

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Eingeordnet unter 01 Arbeit platzt, Menschen funktionieren nicht

Menschen funktionieren nicht [1]

Eines schönen Morgens saß der Organisationsberater im Büro des Geschäftsführers eines mittelständischen Maschinenbauers. Es war, standesgemäß, das Eckbüro im obersten Stock von wo aus man das gesamte Fabrikgelände überschauen konnte. Der Geschäftsführer erzählte gerade von seinen Problemen, zu deren Lösung das Beratungsunternehmen beitragen sollte. Der Berater hatte ihn gefragt, wo er denn hin wolle, was denn die Zielsetzung des Projektes war. Sein Gegenüber erklärte ihm: „Wir haben uns, Stand heute, aus dem Konzern ausgekauft. Damit haben wir Agilität gegen den schützenden Regenschirm in Krisenzeiten eingetauscht. Ich bin überzeugt von unseren Mitarbeitern und unserer Leistungsfähigkeit und möchte, dass jeder Einzelne sich so in die Firma einbringt, als ob es seine wäre. Ein Mittelständler kann es sich nämlich nicht leisten, Trittbrettfahrer mitzuschleppen.“ Das Gespräch ging weiter und der Organisation-Experte war nach wie vor darauf konzentriert, die Spannweite des Projektes zu erfassen. Vielleicht fünf Minuten später wurde sie vom Geschäftsführer klar markiert: „Es wäre schon ausreichend, wenn alle richtig funktionieren würden. Damit wären die Probleme vom Tisch.“

Vermutlich ohne es zu bemerken und in der den Geschäftsführern eigenen Lässigkeit, hatte auch dieser Chef das große Paradox des zwanzigsten Jahrhunderts in auffordernde und erwartende Worte gefasst. Menschen sollen funktionierende Unternehmer, intelligente Produktivitätsbestien und immer leistungswillige Risikogewinner sein. Das alles natürlich im Sinne und Verständnis des Unternehmens/ Unternehmers.
Wie weit dieses Paradox geht, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Bereits Frederick Taylor wollte Kontrolle über die Arbeit mit Hilfe ihrer Darstellung als Funktion gewinnen. Dazu führte er die Zeitstudie als Methode ein. In ihr ging es darum, für jede einzelne Verrichtung eines Arbeitsprozesses die verbrauchte Zeit zu messen, um die Dauer der Verrichtungen und damit die Dauer jedes beliebigen Arbeitsprozesses vorher bestimmen zu können. Ergänzt wurde seine Methode von Frank B. Gilbreth durch die so genannte Bewegungsstudie. Sie umfasst die Erforschung und Klassifizierung der Grundbewegungen des menschlichen Körpers. Die Bewegungsstudie diente zur Verallgemeinerung von Bewegungsabläufen, unabhängig von der konkreten Arbeitssituation, in der die Bewegung ausgeführt wurde. Beide Verfahren zusammen wurden über die Jahre stetig verfeinert, sowohl in der Zeitmessung, wie in der Beschreibung von Bewegungen. Die University of Wisconsin listete in einem Leitfaden von 1963 die wichtigsten Symbole der Bewegungselemente auf. Unter ihnen finden sich etwa die detaillierten Unterscheidungen von Greifen (G):

  • G1= Kontaktgriff (Aufheben von Marke durch Berühren mit Fingerspitzen)
  • G2= Zufassungsgriff (Daumen drück gegen Finger)
  • G3= Umfassungsgriff (Hand umfasst Gegenstand)
  • G4= Wiederzugriff (Hand verschiebt Gegenstand, um ihn neu in den Griff zu bekommen)

Später nahm man in die Bewegungsstudie Faktoren wie Beschleunigung sowie Abbremsen auf und die Zeiteinheiten unterteilte man bis auf Tausendstel Bruchteile von Minuten. So ist etwa die Augenerfassungszeit (Eye Focus) absurderweise nicht nur gemessen, sondern mit 7,3 T.M.U. (Time Measurement Unit) exakt angegeben. Die M.T.M. (Methodes Time Measurement) Assoziation for Standards and Research Ann Arbor, Michigan definiert dabei eine T.M.U. als Hunderttausendstel einer Stunde gleich sechs Zehntausendstel einer Minute oder sechsunddreißig Tausendstel einer Sekunde.
Zweck von dieser Messungen, Verfeinerungen und Präzisierungen ist es, den menschlichen Faktor in die Arbeitsplanung einzupassen oder – anders ausgedrückt – den Menschen als Funktion im Unternehmen abzubilden. Es wird daran gearbeitet, menschliche Wesen als Maschinenelemente darzustellen. Anwendung finden die sogenannten Threblig-Systeme in allen Arbeitsablaufplanungen, sowohl im Büro wie in der Produktion. In diesen Bestrebungen wird menschliche Arbeit vom Menschen, von ihrem Subjekt, getrennt und in ein Objekt, in eine vollständig mess-, steuer- und kontrollierbare Sache, umgeformt. In Deutschland stehen die Arbeiten der REFA – gegründet als Reichsausschuss für Arbeitszeitenermittlung – für dieselben Inhalte.

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