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Die Lehre ist eine Hymne gegen den Menschen [1]

Bereits nach der dritten Vorlesung „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre“ hatte Torsten den Glauben verloren, etwas Anständiges zu studieren. Die erste Stunde war durchdrungen von wohlklingenden Begriffen wie freier Wettbewerb, Markttransparenz, Kartellschutz und dergleichen mehr. In der zweiten Vorlesung wurde via Geschichte zur Lehre hin geführt. In einem Rutsch passierte man Aufklärung und Demokratisierung, Liberalismus der Märkte, Neoliberalismus, ein wenig Kommunismus und Sozialismus, wohlwissend dass diese versagt hatten. Man vergaß auch nicht die Abgrenzung zur Volkswirtschaftslehre. In der dritten Vorlesung kam dann die Ernüchterung. Es wurde der Rahmen für die Betriebswirtschaft vorgestellt: Investitionsrechnung, Preisbestimmung, Kostenrechnung, Bilanzierung, Markt und so weiter. Im Verlauf der Vorlesung wurde, fast versteckt, eine sehr wichtige Grundlage der Betriebswirtschaft genannt: Ein Unternehmen strebt nach dem Monopol, denn als Monopolist bestimmt das Unternehmen seine Geschicke selbst! Torsten wollte seinen Ohren nicht trauen. Fast vier Stunden Gerede über freie Märkte, Wettbewerb, Kartellzerschlagungen und dann die Feststellung: Wir zeigen Ihnen hier die Werkzeuge zur Steuerung unter den Voraussetzungen der ökonomischen Weltherrschaft. Das erklärte so einiges, was Torsten bisher noch nicht einordnen konnte.

Wenn Objektivität den Menschen verachtet

Als ich selbst Betriebswirtschaft studierte, wurde immer wieder mit Stolz betont, dass es sich um eine objektive Wissenschaft handle, wie die Physik oder die Mathematik. Die Wahrheit: Betriebswirtschaft ist eine wachsweiche Sozialwissenschaft. Doch wozu braucht es die Mär von der objektiven Wissenschaft?
Wäre die Betriebswirtschaftslehre nicht objektiv, würden verschiedene ihrer Annahmen und Definitionen heute nicht an Hochschulen gelehrt sondern vor dem Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag verhandelt. Allein die Entwürdigung des Menschen zum Faktor Arbeit sollte dafür ausreichen. Auch die Freiheit seine Arbeitskraft stunden- oder tageweise vertraglich abhängig verkaufen zu können, ist bei genauem Hinsehen unter dem Aspekt der Humanität bedenklich. Doch vor allem anderen ist es das Gloria auf den freien Markt und den Wettbewerb zwischen den Unternehmen, das jeder Vernunft spottet.
Gehen wir einmal davon aus es gäbe ihn, den freien Markt mit echtem Wettbewerb und unabhängiger Preisbildung, wozu wäre er dann da? Durch ihn würden wir, die Konsumenten – Sie und ich – über unser Kaufverhalten zwischen den Wettbewerbern den Besten auswählen. So könnten wir bestimmen, wer erfolgreich ist und wer nicht. Der freie Markt wäre also ein Koordinationsmechanismus gegen schlechte und für gute Ökonomie. Haben Sie den Eindruck, dass das funktioniert? Ich beispielsweise kaufe lieber bei freundlichem und attraktivem Verkaufspersonal, in einem offenen Ambiente ein, als in eng gestellten Verkaufsregalen mit patzigen Kassenmonstern. Doch sind das rationale, ökonomisch meinen Nutzen maximierende Argumente für die Leistung des Unternehmens? Hübsche Verkäuferinnen und ein teures, raumverschwenderisches Präsentationsareal? Bestimmt nicht! Dennoch weiß jeder Marketinglaie: Sex sells! – und ein Kunde muss zu allererst emotional angesprochen werden. Vergessen wir also den Traum der vernünftigen Steuerung unserer Ökonomie durch uns Verbraucher.

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Eingeordnet unter 04 Requiem für die moderne Betriebswirtschaftslehre, Die Lehre ist eine Hymne gegen den Menschen

Paradoxe Pseudorationalisten

„… ist die industrielle Logik, die wir vor drei Jahren ausgerufen haben, ja absolut erhalten geblieben. Wir haben immer gesagt: Porsche wird eine Marke in einem integrierten Automobilkonzern werden müssen.“

Michael Macht am 26. November 2009 im Interview mit Jörg Münchenberg vom Deutschlandradio

„Aus der Finanzkrise ergeben sich keine unmittelbaren Risiken für die Haushaltsplanung. Die Bundesregierung behält daher das Ziel bei, möglichst 2011 einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen“
Peer Steinbrück, Bundesfinanzminister, am 26. Oktober 2008

Wir sprechen sie gelassen aus, Sätze wie „Lassen sie uns sachlich bleiben.“, „Zurück zur Sache.“, „Rational betrachtet …“, „Schauen wir uns einmal die Fakten an, …“ oder „Objektiv gesehen, ohne es beurteilen zu wollen …“.
Bei Michael Macht heißt sie die Industrielle Logik, Peer Steinbrück versteckt sich hinter der Haushaltsplanung. Beide huldigen sie den goldenen Kälbern der objektiven Rationalität, der kalten Sachlichkeit, der entfühlten Wahrheit von scheinbaren Fakten. Andreas Zeuch nennt diese Menschen „paradoxe Pseudorationalisten“. Sie sind mindestens auf zwei Ebenen anzuzweifeln. Auf einer übergreifenden Ebene wird ein pseudorationales Konstrukt, wie etwa die Industrielle Logik benutzt, um mit scheinbaren oder sogar widerlegten Fakten die Überlegenheit der Rationalität im Umgang mit einer Sachlage, wie etwa der Zwangsfusion mit Volkswagen, herauszustellen. Unter dem Deckmantel der Rationalität wurden Milliarden von Euro vernichtet, eine Börsenblase sondergleichen produziert, tausende von Arbeitsplätzen gefährdet sowie eine hoch angesehene Marke zumindest riskiert und das alles, damit zwei äußerst irrational aufgestellte Cousins sich beweisen können, wer der mächtigere Wirtschaftsmogul ist.
Auf der persönlichen Ebene stellen sie sich mit irrationalen Argumenten als Rationalisten dar. Natürlich hat die Finanzkrise keine Auswirkungen auf eine Haushaltsplanung. Jede Planung ist ja nur der Toner auf Papier der eine Fatamorgana der Zukunft beschreibt. Das allerdings als Argument zu nutzen, um am Ziel eines Haushaltes ohne Neuverschuldung festzuhalten, während die härteste Wirtschaftskrise seit 1929 über die Welt herein bricht, ist so romantisch grotesk unwirklich wie eine Lobeshymne auf die Schönheit von smogviolettorangegrünen Sonnenuntergängen über Mexiko City.
Antonio Damasio hat uns gezeigt, dass reine, kühle, sachliche Rationalität gleichzusetzen ist mit der Unfähigkeit zu priorisieren und sinnvolle Entscheidungen zu fällen. Er weist nach, dass es keine gute Entscheidung gibt, die nicht aus intuitiven, emotionalen und rationalen Anteilen besteht. Andreas Zeuch charakterisiert das Ideal vom rationalen Homo oeconomicus deshalb auch treffend als Untoten. Nassim Taleb erläutert höchst faszinierend, wie nahe der Zufall wirklich an uns heran kommt und wie viel Einfluss unvorhergesehene Ereignisse im Positiven wie im Negativen auf unser Zusammenleben haben. Dennoch glauben viele Experten und sogar die Vorstände der Großkonzerne und börsennotierten Unternehmen an Ihre Planzahlen und ignorieren die möglichen Alternativen. James Sourowiecki veranschaulicht eindrucksvoll die Begrenztheit des Individuums bei Entscheidungen und demgegenüber die Qualität und Leistungsfähigkeit, die in Gemeinschaften verborgen liegt. Trotzdem werden die wichtigen, richtungweisenden, strategischen Entscheidungen weiterhin von Einzelpersonen an der Spitze oder kleinen Gremien getroffen.
Argumente, die das ökonomische Ideal einer vernünftigen, voll informierten sowie rational entscheidenden und handelnden Unternehmerpersönlichkeit widerlegen, kommen aus den Naturwissenschaften, der Medizin, der Psychologie und anderen Bereichen. Ihre Zahl wächst mit dem Fortgang des „Business as usual“ und seiner Krisen. Die Darstellung wirtschaftsmenschlichen Verhaltens verharrt trotzdem im Reich des untoten Homo oeconomicus: Längst widerlegte Argumente werden genutzt, um ein pseudorationales und pseudowissenschaftliches Modell für die Wirklichkeit auszugeben. Die Chance für uns Menschen liegt aber nicht im Glauben an unsere rationale Allmacht. Sie findet sich in Achtsamkeit und Demut gegenüber einer Wirklichkeit, die uns – freilich nicht ohne Anstrengung – viel mehr bietet als restlos aufgehende Rechenschemata.

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Eingeordnet unter 03 Menschenbildstörung, Paradoxe Pesudorationalisten

Macht Menschen zu Dingen!

Sind Sie in den letzten Jahren operiert worden? Können Sie sich noch an das Prozedere erinnern? Als ich 2009 unters Messer kam, verlief der Prozess wie folgt: Ich saß gegen halb neun, nichts Böses ahnend, vor dem Fernseher. Voller Vorfreude genoss ich den Abend vor dem Urlaub in Spanien, den wir am Folgetag antreten wollten. Plötzlich begannen mich aus dem Nichts heraus starke Bauchschmerzen zu plagen. Nach einigem Durchhalten zogen meine Frau und ich zwei Konsequenzen. Ich ließ mich ins Krankenhaus bringen und wir den Urlaub sausen. Die Diagnose war schnell gestellt: Gallensteine mit Gallenblasenentzündung. Ich wurde über Nacht im Krankenhaus behalten, und man konnte den ganzen Organ-Apparat beruhigen, so dass keine Notoperation durchgeführt werden musste. Stattdessen wurde ein OP-Termin vier Wochen später vereinbart. In der Vorbereitung auf den Eingriff klärte mich ein Chirurg anhand eines Formblattes über die Durchführung und die Risiken auf. Danach erfasste ein Anästhesist meine körperliche Verfassung sowie mögliche Allergien auf Betäubungsmittel und dergleichen. Am Vortag der Operation kam ich zur Einweisung ins Krankenhaus und erhielt eine Din-A4-Seite bedruckt mit kleinen Barcode-Etiketten, die mich als Patienten in der Aufnahme, auf Station, im Operationssaal, in der Aufwachstation und beim behandelnden Facharzt identifizierten. Ab jetzt war ich eine Nummer, die auf Gängen verschoben, von Händen präpariert und Instrumenten bearbeitet wurde. Alles ging gut, die Galle ist raus und als Überbleibsel muss ich vorsichtig im Verzehr von Fett sein, was nicht wirklich im Widerspruch zu den Dogmen unserer Zeit steht.

Auch wenn die Operation erfolgreich war, ich keine Angst mehr vor Koliken zu haben brauche und ich als Logistiker ein tiefes Verständnis, ja sogar einen Faible für die Notwendigkeit einer sauberen und effizienten Organisation habe – den fahlen Beigeschmack, wie eine Sache behandelt worden zu sein, werde ich immer mit diesem Eingriff verbinden. Die Menschen, die ich in dieser Zeit getroffen habe, waren andere Patienten. Die Schwestern, Ärzte und sogar die sozialen Betreuer, die mich besuchten, haben in meiner Erinnerung allesamt die Aura von Apparaten, die sich an mir abgearbeitet haben.
Diese Situation hat sich verständlicherweise in meiner Erinnerung eingeprägt, weil sie außergewöhnlich war. Doch wenn wir unser Leben einmal unter diesem Gesichtspunkt beobachten, können wir feststellen, wie oft sie sich schematisch im Alltag wiederholt. Achten Sie beim nächsten Mal darauf, wie es Ihnen an der Supermarktkasse geht, an der Tankstelle, auf der Betriebsfeier, im Mitarbeitergespräch oder beim Elternabend: Immer dann, wenn Sie sich wie ein Objekt behandelt fühlen, wie eine Sache, dann ist Ihr Gegenüber kein Mensch sondern Personal.
Sicherlich treffen wir zwischen dem Personal auch Menschen. Ohne eine Frage meinerseits erklärte mir die junge, etwas nervöse Ärztin, in einem Moment, den ich als warm und gemeinschaftlich erinnere, welche Komplikationen es während meiner Operation gegeben hatte. Sie sagte mir auch, wie darauf reagiert wurde und dass deshalb der Eingriff fast um die Hälfte länger dauerte als üblich. Hinter dem Personal stecken also nach wie vor Menschen, doch was ist mit ihnen – mit uns – passiert?
Es ist trivial und komplex zugleich, es ist der Unterschied zwischen Leben und Funktionieren. Häufig sind etwa Verkäuferinnen freundlich, doch wir bemerken sofort, ob sie zuvorkommend sind, weil es ihnen gesagt wurde, dann empfinden wir ihre Nähe als aufdringlich, oder ob es ihre Natur ist. Ob ihre Kundenansprache einstudiert ist oder authentisch. Mit der Einführung des Personalwesens und seiner Spielwiesen Personalverwaltung und -entwicklung wurden die Menschen in Unternehmen zu Objekten, die auf eine bestimmte standardisierte Weise nach der Idee (sprich dem Plan) einer Elite (sprich dem Management) in den Unternehmensprozessen funktionieren. Es wäre ja halb so schlimm, wenn diese Versachlichung nur innerhalb des Unternehmens stattfinden würde, doch über den Kontakt zum Kunden, zu Lieferanten, zu Investoren und dergleichen mehr, wird sie auf alle Wirtschaftsbeziehungen ausgedehnt. Herr Grizmek würde das mit seinem charakteristischen Sprachfehler beschreiben: „Auch hier beweist die Spezies Mensch ihre unglaubliche Anpassungsfähigkeit an ihre Umwelt.“
Derart objektiviertes Personal wird einen Kunden ebenso als Sache behandeln, wie es dazu ausgebildet, bezahlt und angereizt wird. Es wird auch zugleich die Rechtfertigungen für sein Verhalten als Werte lernen. Sie werden Effizienz, Kostenbewusstsein, Prozessoptimierung, Versorgungssicherheit sowie -qualität, Kundenfokus, Null-Fehler und ähnlich heißen. All das ist manifestiert in der Funktion und Aufgabe des Personalwesens. Dabei ist Human Resources eine Entwicklung des gesunden Wirtschaftens. Im kranken Wirtschaften gab es keine Notwendigkeit dafür, da der Sklave oder Leibeigene in der Natur der Sache und auch juristisch korrekt bereits ein Besitztum, ein Gut, eine Ware war. Viele von uns waren damals so etwas wie ein Sessel, eine Kutsche oder ein Zuchttier.

Ändert man die Grundhaltung weg von einer aggressiven hin zu einer kooperativen Gesellschaft, muss man als Unternehmen in der freien Marktwirtschaft mit dem Fakt umgehen, dass aus den Dingen plötzlich gleichberechtigte Menschen auf Augenhöhe werden. Wo also Frederick Taylor noch auf ein gerüttelt Maß an »Halb-Menschen« in seinen Lösungen zurückgreifen konnte, sind wir seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts damit konfrontiert, dass Schwarze und Weiße, Gelbe und Latinos, Frauen und Männer, ja sogar Schwule und Lesben, also einfach alle Menschen vor dem Arbeits-Gesetz gleich sind. Die Gefälle zwischen Industriegesellschaft und dritter Welt sowie die Kinderarbeitsproblematik sparen wir an dieser Stelle einmal aus. Damit sie dennoch weiterhin sachlich funktionieren, braucht es Personal und damit das Personalwesen und die Arbeitspsychologie. Sie überwinden den Graben zwischen den Menschenrechten, welche die Freiheit in der Vielfalt einfordern und der im Unternehmen notwendigen Integration dieser Vielfalt in den Apparat. Sie machen aus Menschen Personal.

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Eingeordnet unter 02 Mythos Arbeit, Macht Menschen zu Dingen!