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Sinnkopplung – unternehmerisch mit Sinn umgehen [2]

Eine Organisation die, wie in den vorherigen Kapiteln beschrieben, Formalismen, Bürokratie, Absicherung, Schuldzuweisung und das Funktionieren von Menschen der Intelligenz, Improvisation, Intuition, Narration und gelebten Gemeinschaft vorzieht, wird es kaum mit sinngekoppelten Menschen zu tun bekommen. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter kraft Vertrag, Stellenbeschreibung und Arbeitsanweisung an sich binden und gute Zusammenarbeit formal vorschreiben, nehmen den Menschen die zur Sinnkopplung benötigte Freiheit. Sie gebrauchen Werkzeuge und Technologien zur Überwachung und Überzeugung. Die zu meisternde Herausforderung, um Freiheit geben zu können, ist ein Sozialgefüge, das die damit verbundene Eigenverantwortung und Unsicherheit aushält. Jüngst im betrieblichen Umfeld genutzte Kommunikationswege wie etwa Großgruppenmethoden, Technologien, die eine Einbeziehung von vielen Menschen in kurzer Zeit ermöglichen – Schlagwort Enterprise 2.0 – stabile Zonen, in denen regelmäßig etwa die Meta-Kommunikation oder Kultur des Unternehmens beispielsweise durch moderierte Dialogrunden oder Unternehmenstheater thematisiert wird,  eröffnen immer wieder den Blick auf die Energie, die in Gemeinschaften wirklich steckt. Nichtsdestotrotz blitzt diese Energie in den ansonsten sozial eher tristen Organisationswüsten zumeist nur kurz auf. Das heißt: Wir kennen Methoden, Werkzeuge und Technologien, die den Weg zur Sinnkopplung frei räumen und damit unsere Leistung um Größenordnungen verbessern könnten. Aber leider schaffen Unternehmen nur selten freie Räume, in denen die durch Gemeinwohl-Sinn entstehende Energie dauerhaft verweilen kann. Sinngekoppelte Menschen würden die Energie nutzen und in Leistung umsetzten, Personal wird das kaum und wenn nur zufällig schaffen.

Vor einigen Jahren durfte ich an einem Vortrag von Jürgen Schrempp teilnehmen. Er hielt ihn vor einigen hundert High Potentials des Daimler Konzerns. Voll Begeisterung wies er darauf hin, dass die Kollegen froh sein könnten, im besten Unternehmen der Welt zu arbeiten. Sollten sie sich einmal dafür entscheiden, erklärte er weiter, das Unternehmen zu verlassen, würden sie schnell erkennen, wie Recht er habe. Und sollten sie dann auf die Idee kommen, zurückkehren zu wollen, hätte Daimler mit Sicherheit nicht auf sie gewartet und es gäbe keine Garantie dafür, dass die beste Firma der Welt sie dann immer noch wolle. Um seine Worte zu unterstreichen verwies er auf seine eigene jahrzehntelange Karriere im Unternehmen. Eine Führung, die seinen Mitarbeitern derart Angst vor dem Weggehen machen muss, die ein derartig beängstigendes Bergmassiv auftürmt, kann nicht erwarten, dass viele Menschen einen tieferen Sinn darin finden, dort zu bleiben.
Alle sozialen Bindungen entstehen, leben und vergehen. Das ist keine weltbewegende Weisheit, im Bezug auf Sinnkopplung allerdings sehr wichtig. Will ein Unternehmen Sinnkopplung zum Gemeinwohl nicht unnötige Steine in den Weg legen, ist auch darauf zu achten, wie es mit Trennungen umgeht. Selbst Trennungen im Streit können von Unternehmensseite aus unterstützend begleitet werden, so dass der Mensch, der sich trennt oder von dem man sich trennt, eine gute Chance hat, in Zukunft die für ihn richtige Passung zu finden.
Ich selbst hatte mich einmal mit meinem Chef, einem mittelständischen Unternehmer, in der Auffassung überworfen, wie die Firma zu führen sei. Ich beendete unsere Unterhaltung über die Zukunft der Firma mit dem Satz: „Dann kann ich hier nicht mehr arbeiten!“ worauf er ungefähr mit diesen Worten reagierte: „Das tut mir sehr leid, weil ich ihre Mitarbeit schätze. Gerne würde ich sie behalten, doch wenn sie sich so entscheiden, will ich ihnen keine Steine in den Weg legen. Sagen sie mir Bescheid, wann sie gehen wollen und wir werden sie darin so gut es geht unterstützen.“ Er hatte es ernst gemeint und so blieb ich noch über ein halbes Jahr im Unternehmen, bis ich meines Erachtens nach ausreichend Geld gespart hatte. Dann legte ich meinen letzten Tag fest und die Firma kündigte mir zu diesem Datum betriebsbedingt. Bis zu diesem letzten Tag ging ich gerne dorthin arbeiten, auch wenn ich langfristig nicht gekoppelt war, kurz- und mittelfristig blieb ich es und empfehle das Unternehmen bis heute als guten Arbeitgeber und seinen Eigentümer als Vorbild in Sachen Trennung von Mitarbeitern.

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Eingeordnet unter 08 sinnhaft leisten, Sinnkopplung - unternehmerisch mit Sinn umgehen

Masse trifft Intelligenz

Unternehmen, selbst kleine, koordinieren bei genauem Hinschauen eine ganze Menge Menschen. Nicht nur die eigenen Mitarbeiter, auch Kunden, Vertriebspartner, Lieferanten, Kooperationspartner, Investoren, Interessenten oder Zeitarbeiter sollen organisiert sein, will man ein wirtschaftliches Betriebsergebnis erreichen und im Wettbewerb überleben.

  • Lassen wir uns auf Agenten ein und auf die Trennung zwischen Arbeiten und Denken.
  • Akzeptieren wir partielle Transparenz in der die Geschäftsführung beispielsweise Steuerungs-Informationen hat, die anderen nicht zugänglich sind – wie etwa die Kilometerlaufleistung der Vertriebsmitarbeiter.
  • Koordinieren wir uns basierend auf Leistungs-Zielvereinbarungen mit gekoppelten Bonus(-Versprechen)-Drohungen.

Dann öffnen wir politischen Ränkespielen und pseudorationalen Rechtfertigungsorgien Tür und Tor. Intelligentes und kooperatives füreinander Arbeiten bleibt so auf der Strecke. Doch wozu soll diese kooperative Arbeitsform gut sein, wozu so viel Mensch, wozu eine derartige Vormachtstellung der sozialen Interaktion? Warum brauchen wir sie gerade jetzt, warum plötzlich für alle Menschen und nicht nur für ausgewählte Leadership-Gruppen, wie gehabt? Warum soll das Althergebrachte plötzlich schlecht sein?
Ganz einfach, weil Verwaltung und Koordination in einer komplexen, turbulenten und unvorhersehbaren Welt schlicht versagen. Sie erkennen den Ernst der Lage zu spät, sind in ihren Reaktionen zu langsam, finden selten nachhaltig intelligente Lösungen, um ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden und sind, vor allem anderen, trotz all ihrer Pläne viel zu häufig schlecht vorbereitet.

Achtsamkeit, auf etwas gefasst sein ohne das Ergebnis planend vorweg zu nehmen, sprich leistungsfähige Improvisation, professionelle Nutzung von Intuition, Wissen, Bildung, Emotion, Denken und Empathie oder anders: Der große Reichtum menschlicher Intelligenz – erschließt sich nicht in verwalteten Kollektiven. Stattdessen entfaltet er sich, auch und gerade wirtschaftlich, in kooperativen, lebensbejahenden sozialen Vernetzungen. Intelligente Massen beginnen dort, wo man sich dem Zwischenmenschlichen stellt, anstatt sich ihm zu entziehen. Sie beginnen dort, wo kein eindeutiger Führer mehr auszumachen ist, kein Kopf, den man abschlagen kann und so dem monströsen Körper des Mobs sein Ziel, seine Ausrichtung, ja, seinen Sinn raubt. Intelligente Massen sind kein Mob (siehe Tabelle zur Unterscheidung)!

Sie finden sich zusammen, weil die Menschen es so wollen, nicht weil sie dorthin organisiert oder geprügelt werden. Sie sind anders als Verdrängungswettbewerb, als fressen und gefressen werden, sie sind mehr als Win-Win, sie sind soziales Verständnis ohne Gutmenschenverklärungen aus einem Wolkenkuckucksheim. Intelligente Massen arbeiten nicht gegeneinander, sie arbeiten auch nicht miteinander, sondern füreinander. So und nur so können wir die durchaus wertvollen Mechanismen der Marktwirtschaft nutzen, um die vor uns liegenden komplexen Aufgaben zu meistern.
Mag „keep it simple“ für den Einzelnen eine ausreichende Strategie sein, ist es für ein Unternehmen nur die exponentiell schnell wachsende Wahrscheinlichkeit, etwas Überlebenswichtiges zu übersehen. War es vor fünfzig Jahren vielleicht noch ausreichend, dass jeder an sich denkt, damit an alle gedacht ist, kann unsere Hoffnung heute nur darin liegen, für das Wohl der anderen Sorge zu tragen, will man nicht schon bald selbst Teil einer Katastrophe sein.

Hätten die Vertriebsknechte der amerikanischen Immobilienwirtschaft intelligentes, zwischenmenschliches und lebendiges Interesse am Leben und Schaffen ihrer Klienten haben dürfen, dann wäre die Finanzkrise wohl an uns vorüber gegangen. Läge es in den Händen der Monteure, deren Familien an der Küste vor einer Bohrinsel leben, gäbe es vermutlich ausschließlich eine Tiefsee-Ölförderung mit Rückschlagventil. Könnten die Mitarbeiter von MBB entscheiden, wer nicht nur ihre neuen, sondern vor allem auch ihre gebrauchten Waffen und Waffensysteme kaufen kann, wäre wohl davon auszugehen, dass es einige Kriegsschauplätze weniger auf der Welt gäbe.

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Eingeordnet unter 06 Masse mit Klasse, Von Prinzipalen, Agenten und anderen zwielichtigen Subjekten

Menschen funktionieren nicht [2]

Schärfer, als es je ein Geschäftsführer formulieren würde, hat James R. Bright von der Harvard Business School den Wunsch nach Funktion ausgedrückt:

„Abstrakt gesehen sind alles dies nichts anderes als Versuche, die Menschen dazu zu zwingen, an denjenigen Stellen der Fertigungsstraße, wo Maschinen nicht verfügbar oder nicht wirtschaftlich sind, widerspruchsfrei in der gewünschten Weise zu arbeiten. … Das Bestreben geht dahin, zeitlich festgelegte, voraussagbare, konsistente Produktionsarbeit von den Menschen zu erhalten. Doch ein solches Verfahren kann zwangsläufig nicht perfekt sein. Als Glieder oder »Widerstände« in der Supermaschine sind Menschen nicht mechanisch zuverlässig. Weder »reagieren sie widerspruchsfrei in der gewünschten Weise«, noch können sie dazu gezwungen werden.“

Genau hieraus erwächst der Wunsch nach „unternehmerischem Denken und Handeln“ der Mitarbeiter. Die „mechanischen Unzuverlässigkeiten“, die der Mensch von Natur aus hat, sollen also ausgeglichen werden, indem man ihn auf das Unternehmenswohl – meist gleichgesetzt mit dem Unternehmensprofit – einschwört. Nun sind mechanistische „Unzuverlässigkeiten“ nicht einfach nur Widerstände, es sind Intelligenz, Intuition, Empathie, Gestaltungswille, Fähigkeit zur Improvisation usw. Unterdrückt ein Mensch, um zu funktionieren, Hirn und Gefühle – wie soll er den Spagat zum Unternehmertum, zur Selbständigkeit meistern? Geschäfteführern fällt es erstaunlich schwer, diesen Widerspruch zwischen persönlicher Integrität der Mitarbeiter und mechanischem Funktionieren wahrzunehmen.

Wie weit wir dieses Verfunktionieren getrieben haben, macht eine Urlaubsanekdote deutlich. Auf einem Parkplatz an der Costa Brava stellten wir unser Auto ab. Wir brauchten einen Parkschein und so machte ich mich auf den Weg zum entsprechenden Automaten. Bei der Maschine handelte es sich um ein deutsches Fabrikat. Während ich den Parkschein löste, entdeckte ich einen Sprach-Knopf. Meine Neugierde war geweckt, welche Sprachen sich dort wohl finden ließen und so drückte ich ihn. Die Anzeige sprang sofort vom spanischen „Bienvenido“ auf das regional gesprochene katalanische „Benvingut“. Der nächste Drücker brachte das italienische „Benvenuti“ zum Vorschein und dann kam auf Französisch „Bienvenue“. Die Logik war klar und doch wollte ich jetzt wissen, ob es auch eine deutsche Begrüssung gab, also drückte ich erwartungsfroh weiter und nach dem englischen „Welcome“ musste ich schallend lachen, stand da doch „Betriebsbereit“ im Display.

Das Paradox von Funktion und Unternehmertum lässt sich auflösen, erkennt man die Absurdität der Objektivierung menschlicher Arbeit. Unsere Fähigkeiten und Talente sind nicht in quantifizierte, gemessene Funktionen zu packen, zu standardisieren und in Formeln verwertbar, wenn man ein sinnvolles, ein menschliches Ergebnis haben möchte. Wir müssen uns vorurteilsfrei ein neues Bild von Arbeit generell machen. In diesem Bild sollen Menschen nicht mehr aufs Funktionieren reduziert werden. Stattdessen sind sie dazu da, etwas zu unternehmen. Dafür braucht es weniger messende Methoden für geschlossene Systeme. Stattdessen benötigen wir mehr agil adaptive soziale Vorgehensweisen in offenen Systemen. Die Devise kann lauten: Raus aus der taylorschen Funktions-Leichenstarre und hinein in ein menschlich erfüllendes Arbeiten.

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Eingeordnet unter 01 Arbeit platzt, Menschen funktionieren nicht