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Der komische Laden aus Skandinavien

London im Juni, es war ein toller Tag, die Sonne schien und ein warmer Wind lud dazu ein die Straßencafés zu besuchen. Alles an diesem Tag eignete sich trefflich, Andy selbst zu beschreiben. Sein Lächeln, wie er die Passanten auf dem Weg ins Büro grüßte, das Öffnen der Eingangstür, mit welchem Elan er durchs Büro schlenderte und wie er sich darüber freute, einen weiteren Tag im Kreise seiner Kollegen zu verbringen.
Noch vor einem Jahr war das anders. Das Gesicht grimmig, überarbeitet, die Ellenbogen energisch aufgerichtet und der lang antrainierte Hart-aber-fair-Blick, zeichneten ihn damals aus. Sein Computer war umgeben von Aktenbergen, wie eine Trutzburg. Er war täglich damit beschäftigt gewesen, Statistiken zu erstellen, zu manipulieren, auszuwerten und Kollegen schlecht zu machen, um selbst besser da zu stehen. Ein einfaches und wirkungsvolles Rezept für die eigene Karriere. Das alles hatte ihn als Menschen aufgefressen. Dreizehn-Stunden-Tage waren die Regel, zehn für die Firma, maximal drei für den Kunden, oft nur in der Ruhe der eigenen vier Wände möglich.
Dann das Angebot zu dem komischen Laden aus Skandinavien zu gehen, der alles anders macht. Seine Schwägerin, die Schwester seiner Frau wiederholte immer unverblümter den Sektenverdacht, wenn er über seinen Job sprach. Es konnte ja auch nicht wahr sein. Eine Firma mit einer klaren Ausrichtung auf die Menschen. Produkte waren wichtig, doch kein Selbstzweck. Das Geschäft wird von denen entschieden, die es auch machen müssen, so hatten sie ihn für sich gewonnen.
Andy selbst war eine ganze Zeit ungläubig, kritisch und vermutete hinter jeder neuen Entdeckung endlich den Pferdefuß. Der einzige den er fand, wenn man das Pferdefuß nennen kann, war, dass man hier wirklich angestellt war, um sinnvolle Arbeit zu machen. Es war ein vergnüglich langweiliges Innenleben, das sich ihm präsentierte. Keine politischen Intrigen, man musste sich nicht minütlich umschauen, wer einem gerade wieder einmal ein Messer in den Karriererücken stechen wollte.

Wirkliches Interesse oder klar ausgedrücktes Desinteresse, nicht viel Drumrumgerede, keine ausufernden Folienschlachten; was zählte war der Grund, warum man etwas wie tun wollte, nicht so sehr, ob es den Statuen entsprach, die es sowieso nicht gab. Intelligenz wurde wertgeschätzt, auch und gerade kritische Intelligenz. Wenn nicht klar war, ob die neu entwickelte Kommunikationsschulung für den Kunden wirklich gut war, wurde sie lieber nicht verkauft. Gab es Zweifel darüber, ob die Marktinformationen für das Gespräch mit dem Kunden ausreichten, wurde lieber der Termin verschoben, anstatt ihm etwas Unausgegorenes zu präsentieren.
Selbst nach einem Jahr hatte er das Geheimnis noch nicht vollständig verstanden und war überrascht über den wirtschaftlichen Erfolg. Unterschied, den er ausmachen konnte: Hier hatte alles Sinn. Es wurde nachgedacht und begründet. Dinge, Handlungen oder Prozesse, die keinen Sinn hatten, wurden abgeschafft. So wurde beispielsweise klar, dass eine groß gepushte Corporate Identity mit entsprechendem Corporate Design einfach keinen Nutzen brachte. Die Kunden wurden lokal angesprochen und lokal betreut.

Die Konsequenz: Filialen, die eher Kunden aus Industriegebieten betreuten hatten ihr Büro in einem Industriegebiet und waren vergleichbar zu ihren Kunden eingerichtet. Seine Niederlassung richtete sich an Kunden aus West-London und so hatte er sinnvollerweise ein Büro im selben Bezirk und war vergleichbar zu seiner Klientel eingerichtet.
Das war teurer als ein Büro in einem Industriegebiet, sicherlich, doch sein Business sprach eben auch eine andere Zielgruppe an. Jede Niederlassung hat ihr eigenes Businesskonzept: Welche Kunden wollen mit welchen Produkten und in welchem Ambiente angesprochen werden? Da ist es entscheidend, keine Corporate Strategy aus der Zentrale vorzugeben. Eine weitere Konsequenz: Zentrales Marketing gibt es nicht, es hat einfach keinen Sinn, so wie das Unternehmen aufgestellt ist.
Natürlich hatte die Firma festgelegt, mit welchem Geschäftsmodell sie erfolgreich sein will. Sie selbst nennt es Dezentralisierung oder die Filiale ist das Unternehmen. Alles weitere ergibt sich aus dieser Bekenntnis zur Entscheidungsgewalt der Filialen. Daneben steht das Wissen um die Leistungsträger, die Mitarbeiter. Im Unternehmen ist klar, dass nicht IT-Systeme oder Prozesse Leistungsposten sind, sondern ausschließlich sinngekoppelte Menschen.
Das heißt, man muss sich mit den Menschen auseinandersetzen und damit, was sie vom Geschäft verstehen oder nicht. Auch das hatte für Andy absolut Sinn. Für das Unternehmen gibt es keinen wichtigsten Menschen, nicht die Kunden oder die Shareholder oder der Chef oder die Kollegen – alle sind wir Menschen und haben als solche denselben Respekt und die gleiche Ernsthaftigkeit verdient. Was das Unternehmen macht, muss zu allererst menschlich sinnvoll sein, so entsteht dauerhafter Zusammenhalt.
Für Andy, den stürmischen Mittvierziger, der seinen Bekannten im Vorbeigehen gerne auf die Frage: „Wohin so eilig?“ ein „Business machen!“ über die Schulter zurück wirft, hat es Sinn, hier zu arbeiten und obwohl er weniger verdient als früher, genießt er es dennoch, mehr Umsatz für seine Firma zu machen, als jemals zuvor und zudem pünktlich Feierabend zu haben.

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Eingeordnet unter 09 kein Ring sie zu knechten, Sinn orientiert während quotierte Ziele vom Weg abbringen

Der schwere Gang in den Betrieb

Nach über vierzig Jahren Betriebszugehörigkeit und mehr als zwei Jahrzehnten hier am Standort war dieser letzte Gang durch die Fabrik am besten mit seiner Körperhaltung charakterisiert: Der leicht gebeugte Rücken, sein schlurfender Schritt und die Bedächtigkeit oder auch Behäbigkeit, mit der er Türen öffnete und wieder schloss, ließ die wieselflinken intelligenten Augen beinahe verschwinden. Dabei kennzeichneten sie die Qualität, Effektivität und Effizienz, mit der er auch seine letzte, nun hinter ihm liegende Aufgabe gemeistert hatte. Aus irgendeinem vergessenen Grund war sein Sohn mit dabei und folgte ihm schweigend durch die Korridore, Treppenhäuser, Büroräume und Produktionshallen. Vor einigen Monaten hatte er erfahren, wie man nach fast einem halben Jahrhundert Arbeit für dasselbe Unternehmen dennoch einfach gekündigt werden konnte. Noch grotesker war allerdings, dass er mit der Abwicklung des Standorts beauftragt wurde. Seine Aufgabe in den letzten Wochen seiner Anstellung war demnach die Ausräumung der Maschinen, den Umzug der noch gebrauchten Büromöbel und schließlich die Verschrottung alles Übrigen – unter anderem auch persönliche Gegenstände, die von ihren Besitzern zurückgelassen worden waren – zu überwachen und zu kontrollieren. Heute nun ging er zum letzten Mal durch die ausgeweideten Innereien (s)eines Betriebes. Hinter der immergleichen Fassade erwarteten die beiden Besucher leere, höhlenartige Korridore, verlassene Hallen mit Beulen im Boden von der Last der Maschinen, die hier jahrzehntelang gestanden hatten, mit ihren leuchtenden Displays endzeitlich anmutende Zeiterfassungsautomaten, die niemand mehr benutzen würde, seltsame Flecken an den Wänden, Rückstände der Anlagen, die hier gearbeitet hatten, abgegriffene Türknäufe, gesplitterte Glastore, verkeilte Schiebetüren, die sich nicht mehr schließen durften, ausgebeinte Technikräume mit hunderten von Löchern in der Wand, die Endpunkte oder Anfänge für Kabelkanäle, Hauspostrohre und Stromleitungen markierten und hie und da ein Neonlicht, das die Tristesse in fahles weißes Licht tauchte. Die begehbare Manifestation des Untergangs eines Industrietitans. Als er die Türe zum letzen Mal hinter sich zuzog endete nicht nur die Geschichte des Betriebs. Es endete auch ein erheblicher Bestandteil seines Lebens. Hier hatte er meist mehr als fünfzig Stunden in der Woche mit seinen Kollegen verbracht, feixend, feilschend, feiernd, gewinnend, verfehlend, argumentierend, denkend, geniessend, frustriert, diskutierend, euphorisch, verängstigt, nervös und glücklich. Es war ein abgegrenzter Raum gewesen. Ein Platz mit eigenen Prozessen, eigenen Ritualen, einer eigener Struktur und Kultur, einer eigenen Verwaltung, kurz: eine Welt mit ihren eigenen Gesetzen. Sie war klar unterscheidbar zur Außenwelt zu den anderen Betrieben, den anderen Menschen, den anderen Institutionen, zum Rest.

„Er“ ist mein Vater, ich hatte ihn damals begleitet und weiß seit diesem Tag wie trügerisch unnatürlich es ist, jeden Tag in einen Betrieb zu gehen, um zu arbeiten, der nicht der eigene ist.

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Eingeordnet unter 04 Requiem für die moderne Betriebswirtschaftslehre, Der schwere Gang in den Betrieb

Master and Servant [1]

Andreas war jetzt seit einigen Jahren mit der Bereichsleitung betraut. Im Konzern war es einer der kleinsten Bereiche, zählten zu ihm doch gerade einmal 28 Mitarbeiter, Führung inklusive. Da kannte jeder jeden persönlich. Trotzdem war es ein selbständiger Geschäftsbereich, denn Andreas trug die Verantwortung für die Entwicklung, die Produktion, die Verpackung und die Vertriebslogistik des Produktes und sein Vorgesetzter war Mitglied des Direktionsgremiums des Standortes. Darüber kam nur noch die Konzernzentrale. Ihr Produkt war eine Cash-Cow – wenig und kontrollierter Aufwand bei zugleich enormem Ertrag. Andreas hatte so etwas wie Narrenfreiheit, war er doch der einzige im ganzen Konzern, der wirklich die gesamte Versorgungskette und das Produkt mit seinen physikalischen und chemischen Eigenschaften kannte. An diesem Freitagmorgen bekam er eine Nachricht, die den Narren in ihm heraus forderte.

Ohne Zwischenstation über seinen Chef erhielt er aus einem Verwaltungsbereich der Konzernzentrale die Anweisung bis zum kommenden Dienstag eine Liste von drei Mitarbeitern zu erstellen, die laut seiner Einschätzung entbehrlich waren. Grund: Im Rahmen von COPE (Cost Efficiency Personal Economization) hatte eine Analyse der Leistungsdaten ergeben, dass in seinem Bereich 3,4 Mitarbeiter über Bedarf arbeiteten. In einem Vorstandsbeschluss war daraufhin entschieden worden, alle entsprechenden Potentiale auf die nächst niedrigere Zahl abzurunden und als Zielvorgabe für die notwendigen Einsparungen festzulegen. Andreas balancierte das Memo einige Zeit zwischen seinen Fingern, füllte die darunter aufgedruckte Tabelle aus, die zur Rückmeldung genutzt werden sollte und schickte das Memo via Fax zurück an die Verwaltung. Knapp eine halbe Stunde später wurde er in das Büro seines Chefs zitiert; jetzt musste er schmunzeln.
„Was hast du dir dabei gedacht!?“ Andreas Chef überging jede Begrüßungsfloskel „Mich, dich und deine einzige Führungskraft auf die Liste zu setzen?“ Ohne Eile setzte sich Andreas auf den Stuhl gegenüber dem schweren Schreibtisch. „Na ja, auf dem Memo stand: Die Mitarbeiter, die laut meiner Einschätzung am entbehrlichsten sind. Du, der Kollege und ich sind nur mit administrativen Aufgaben betraut. Wenn wir gegangen werden läuft die Produktion und damit die Wertschöpfung problemlos weiter, bis es eine Produktänderung zu geben hat, und die kann ja dann auch die Zentrale vorgeben.“ Sein Chef wogte gegen die schelmische Ruhe von Andreas an, der nicht von seinen Vorschlägen abwich. Das Ende vom Lied: Niemand wurde entlassen.

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Eingeordnet unter 03 Menschenbildstörung, Master and Servant

Menschen funktionieren nicht [1]

Eines schönen Morgens saß der Organisationsberater im Büro des Geschäftsführers eines mittelständischen Maschinenbauers. Es war, standesgemäß, das Eckbüro im obersten Stock von wo aus man das gesamte Fabrikgelände überschauen konnte. Der Geschäftsführer erzählte gerade von seinen Problemen, zu deren Lösung das Beratungsunternehmen beitragen sollte. Der Berater hatte ihn gefragt, wo er denn hin wolle, was denn die Zielsetzung des Projektes war. Sein Gegenüber erklärte ihm: „Wir haben uns, Stand heute, aus dem Konzern ausgekauft. Damit haben wir Agilität gegen den schützenden Regenschirm in Krisenzeiten eingetauscht. Ich bin überzeugt von unseren Mitarbeitern und unserer Leistungsfähigkeit und möchte, dass jeder Einzelne sich so in die Firma einbringt, als ob es seine wäre. Ein Mittelständler kann es sich nämlich nicht leisten, Trittbrettfahrer mitzuschleppen.“ Das Gespräch ging weiter und der Organisation-Experte war nach wie vor darauf konzentriert, die Spannweite des Projektes zu erfassen. Vielleicht fünf Minuten später wurde sie vom Geschäftsführer klar markiert: „Es wäre schon ausreichend, wenn alle richtig funktionieren würden. Damit wären die Probleme vom Tisch.“

Vermutlich ohne es zu bemerken und in der den Geschäftsführern eigenen Lässigkeit, hatte auch dieser Chef das große Paradox des zwanzigsten Jahrhunderts in auffordernde und erwartende Worte gefasst. Menschen sollen funktionierende Unternehmer, intelligente Produktivitätsbestien und immer leistungswillige Risikogewinner sein. Das alles natürlich im Sinne und Verständnis des Unternehmens/ Unternehmers.
Wie weit dieses Paradox geht, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Bereits Frederick Taylor wollte Kontrolle über die Arbeit mit Hilfe ihrer Darstellung als Funktion gewinnen. Dazu führte er die Zeitstudie als Methode ein. In ihr ging es darum, für jede einzelne Verrichtung eines Arbeitsprozesses die verbrauchte Zeit zu messen, um die Dauer der Verrichtungen und damit die Dauer jedes beliebigen Arbeitsprozesses vorher bestimmen zu können. Ergänzt wurde seine Methode von Frank B. Gilbreth durch die so genannte Bewegungsstudie. Sie umfasst die Erforschung und Klassifizierung der Grundbewegungen des menschlichen Körpers. Die Bewegungsstudie diente zur Verallgemeinerung von Bewegungsabläufen, unabhängig von der konkreten Arbeitssituation, in der die Bewegung ausgeführt wurde. Beide Verfahren zusammen wurden über die Jahre stetig verfeinert, sowohl in der Zeitmessung, wie in der Beschreibung von Bewegungen. Die University of Wisconsin listete in einem Leitfaden von 1963 die wichtigsten Symbole der Bewegungselemente auf. Unter ihnen finden sich etwa die detaillierten Unterscheidungen von Greifen (G):

  • G1= Kontaktgriff (Aufheben von Marke durch Berühren mit Fingerspitzen)
  • G2= Zufassungsgriff (Daumen drück gegen Finger)
  • G3= Umfassungsgriff (Hand umfasst Gegenstand)
  • G4= Wiederzugriff (Hand verschiebt Gegenstand, um ihn neu in den Griff zu bekommen)

Später nahm man in die Bewegungsstudie Faktoren wie Beschleunigung sowie Abbremsen auf und die Zeiteinheiten unterteilte man bis auf Tausendstel Bruchteile von Minuten. So ist etwa die Augenerfassungszeit (Eye Focus) absurderweise nicht nur gemessen, sondern mit 7,3 T.M.U. (Time Measurement Unit) exakt angegeben. Die M.T.M. (Methodes Time Measurement) Assoziation for Standards and Research Ann Arbor, Michigan definiert dabei eine T.M.U. als Hunderttausendstel einer Stunde gleich sechs Zehntausendstel einer Minute oder sechsunddreißig Tausendstel einer Sekunde.
Zweck von dieser Messungen, Verfeinerungen und Präzisierungen ist es, den menschlichen Faktor in die Arbeitsplanung einzupassen oder – anders ausgedrückt – den Menschen als Funktion im Unternehmen abzubilden. Es wird daran gearbeitet, menschliche Wesen als Maschinenelemente darzustellen. Anwendung finden die sogenannten Threblig-Systeme in allen Arbeitsablaufplanungen, sowohl im Büro wie in der Produktion. In diesen Bestrebungen wird menschliche Arbeit vom Menschen, von ihrem Subjekt, getrennt und in ein Objekt, in eine vollständig mess-, steuer- und kontrollierbare Sache, umgeformt. In Deutschland stehen die Arbeiten der REFA – gegründet als Reichsausschuss für Arbeitszeitenermittlung – für dieselben Inhalte.

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Eingeordnet unter 01 Arbeit platzt, Menschen funktionieren nicht