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Das Spiel funktioniert doch nicht

An einem seiner letzten Tage im normalen Projektmanagement kam Torsten zu einer bitteren Erkenntnis, die mit ausschlaggebend dafür war, sein Arbeiten zu verändern. Es war in der Endphase eines Projektes, die Arbeit war getan, doch es gab noch so viel offenes Budget, dass das Projekt einfach noch nicht zu Ende sein durfte. Torsten stellte folgende Bilanz über seine Vierzigstundenwoche auf: Zehn Stunden verbringe ich damit so zu tun, als ob ich arbeiten würde, sieben damit, über Kollegen zu lästern und sie schlecht zu machen, damit sie karrieremäßig nicht an mir vorbei ziehen, acht mit dem Zählen meiner Überstunden und der Kalkulation der mir dafür zustehenden Freizeit, fünf in Gesprächen mit meiner Frau, warum ich schon wieder später nach Hause komme, acht in Besprechungen und zwei damit, das zu tun, wovon mein Vorgesetzter glaubt, dass es gut für das Unternehmen ist. Dann bleiben noch die vier bis sieben Überstunden, um spazieren zu gehen oder sich mit den Kollegen zu treffen, die ich wirklich gut leiden kann und gemeinsame Freizeitaktivitäten zu planen.

Nachdem er die Bilanz aufgestellt hatte schaute er sich um und beobachtete seine Kollegen. Nach einigen Tagen war er sich sicher, dass bei circa der Hälfte die Bilanz so ähnlich ausfallen würde. Dann gab es noch die, die keinen Hehl aus ihrem Absitzen machten und die, die wirklich arbeiteten. Bis zu diesem Tag hatte Torsten eine einfache Argumentation, nach der es sein Unternehmen nicht anders verdiente, schließlich versuchte es ja mit seinen Arbeitsverträgen, Zielvereinbarungen und Potentialchecks ihn zu einer Funktion des Unternehmenserfolgs zu machen. Da war es doch recht und billig, dass er sein Unternehmen ein wenig zum Narren hielt. Er nannte es „die Kunst der kreativen Budgetsteuerung“. Seine Zielvorgaben hatte er immer erreicht, auch dann wenn das Produkt später am Markt, wie von seinen Kollegen und ihm voraus gesehen, floppte. Und er hatte damit immer seinen Bonus eingestrichen und genau das gemacht, was ihm die Intelligenz von oben vorgegeben hatte.
An diesem Tag stellte er fest, dass dieser Kreislauf ein ganzes Arbeitsleben lang funktionieren würde. War dieses Arbeitsleben dann vorbei, so fiel ihm auf, hatte unterm Strich nicht das Unternehmen verloren, vielmehr würde er als Mensch verkümmert sein. Durch die ganze Schokolade, die sie ihm über die Jahre hinweg als Boni, Firmenkredit, Geschäfts-Erlebnisreisen, Ausbildungen und Beförderungen gegeben hatten, wäre sein Geist fett und träge geworden. So könnte er am Ende gar nicht mehr erkennen, dass mit der Pensionierung auch seine Wachheit, seine Frische, ja sein Lebensfunke erlosch. Geistig so verblendet konnte er sich auf einen ruhigen Lebensabend ohne Sinn und tieferen Grund in guter körperlicher Verfassung freuen. Das war doch was!

Schön, wenn es so einfach wäre, dann sprächen wir über persönliche Entscheidungen für oder gegen diese Arbeitswelt, doch so einfach ist es nicht. Der sinnentleerte Lebensabend ist nicht nur wahrscheinlich und wohl auch keine freie Wahl, sondern für immer mehr Menschen eine Wirklichkeit, die sich in erschreckenden Entwicklungen ausdrückt.
Die Zahl an Depressionen hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Das Deutsche Bündnis gegen Depression stellt fest:

„Psychische Erkrankungen sind die häufigste Ursache für Berufsunfähigkeit. Bei Männern ist der Anteil psychischer Erkrankungen als Berentungsdiagnose von 8% im Jahr 1983 auf fast 27% im Jahr 2004 angestiegen, bei Frauen von unter 10% auf rund 37% (Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 2006). Trotz insgesamt sinkender Krankenstände haben die Krankschreibungen aufgrund psychischer Störungen in den vergangenen fünf Jahren um 20% zugenommen (TK-Gesundheitsreport, 2005).
… Bedeutendste Zuwächse bei Arbeitsunfähigkeits-Quoten für Depression zwischen 2000 und 2004 um 42% (DAK-Gesundheitsreport 2005). Im Jahr 2004 waren 1% der Erwerbstätigen – das sind ungefähr vierhunderttausend Menschen – wegen Depression arbeitsunfähig (DAK- Gesundheitsreport, 2005).

Es ist nicht so einfach, dem Entweder-Oder, von krankem und gesundem Wirtschaften zu entgehen und stattdessen sinnhaft zu wirtschaften. Während sich ein krank wirtschaftendes System kaum um die Depressiven kümmern würde, werden sie in einem gesund wirtschaftenden System Mitglied in einer Statistik, erhalten Betreuung und sichern so die Jobs von Arbeitspsychologen und Betriebsärzten. Um diesen Trend zur Volksdepression zu überwinden, muss sich einiges ändern. Eine Anerkennung als Berufskrankheit mit entsprechender Pflegestufe wird hier nicht ausreichen. Man steht mit dieser Einsicht natürlich gegen eine ganze Bank von gesellschaftlichen Dogmen, wie etwa dem Zusammenhang zwischen Karriere und sozialer Reputation, dem Übertragen von Charaktereigenschaften und Persönlichkeit des Kraftfahrzeugs auf seinen Fahrer oder dem Messen des menschlichen Werts über die Quadratmeterzahl des Vorgartens.

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Wo fängt Verantwortung an? [1]

Manuel konnte Andreas nicht verstehen, weder seine Entschlossenheit, noch überhaupt die Entscheidung, die er so mir nichts dir nichts getroffen hatte. Zu kündigen, weil er nicht mehr zum Unternehmen stehen konnte, weil er keinen Sinn mehr in den Produkten sah, die sie herstellten und der Art, wie sie vertrieben wurden. Bis heute hatte Manuel viel Respekt vor Andreas gehabt, war er doch immer der Jüngste unter seinen Kollegen und einer der Besten gewesen. Mit dem Uniabschluss, der Doktorarbeit in Biochemie und dem Aufstieg beim internationalen Pharmakonzern. Dort hatte ihn alsbald der Vorstandsvorsitzende unter seine Fittiche genommen. Aufbaustudium in Harvard, Beteiligung an den strategisch wichtigsten Projekten und mit Ende Dreißig die Ernennung zum Direktor der Forschung und Entwicklung. Andreas hatte mehr als nur das Potenzial, er war  die Verkörperung der allerorten beschworenen Höchstleistung. Und so wurde es auch vergolten. Er residierte in einem klimatisierten Eckbüro hoch über der Stadt, fuhr jahrein, jahraus seinen neuen Wunschfirmenwagen, egal um welches Modell es sich handelte. Nur der Vorstandsvorsitzende selbst hatte ein noch höheres Einkommen. Selbst bei der Familie hatte der Konzern sich kompromissbereit gezeigt, als Andreas verlangte, dass er von zu Hause aus arbeiten wolle, um Zeit mit seinen Kindern und seiner Frau zu haben und nicht in einen Scheidungskrieg zu geraten.

„Wie kannst Du so etwas wegschmeißen?“ entgeisterte sich Manuel „Das macht man nicht!“ Er teilte die Entrüstung mit seiner Schwester, Andreas Frau, für die eine Welt zusammen gebrochen war.
Andreas selbst blieb ruhig. Manuels Reaktion entsprach der seines Chefs, als er ihm seine Entscheidung eröffnet hatte. Auch dieser zählte all die Vorteile auf: Stipendium, Gehalt, Boni, Tantieme, Auto, Firmen-Ferienwohnung, Incentives und Beförderungen. All das konnte nur eine Wirkung hervorbringen: Eine motivierte, loyale und höchstleistende Führungskraft. Sicherlich keinen Menschen, der plötzlich die Sinnfrage stellt und als Konsequenz daraus zum Schluss kommt, dass das Pharmabusiness keinen Sinn macht, schon gar nicht so wie es von internationalen Multis betrieben wird, um dann zu gehen.
Andreas hatte derweil ganz andere Probleme. In sechs Wochen war er zu einem internationalen Kongress in Wien als Keynote-Redner eingeladen und stand ganz alleine vor der Problematik, die Reise zu planen, das Flugticket zu kaufen, das Hotel zu buchen, den Abflugsteig zu finden, bis dorthin ein neues Mobiltelefon zu haben und zu wissen, wie er überhaupt zum Flughafen kommen sollte. Bis vor einer Woche wurde das von seinem Sekretariat organisiert und er erhielt alles per SMS auf sein Firmensmartphone mit dem Firmenvertrag, stieg in seinen Firmenwagen, in dessen Navigationssystem bereits via Netzwerk die Route eingespeichert war. Kaum auf dem Flughafen angekommen, erhielt er pünktlich die Nachricht, in welchem Gate er einchecken musste, wo die Business-Lounge war und wen er dort treffen würde, um vor dem Abflug noch Zerstreuung in einem mehr oder weniger interessanten Businessgespräch zu finden. So fühlte sich auch Andreas neben der Rolle, allerdings weniger weil er gekündigt hatte. In der Wirklichkeit der Welt 2.0 kam er sich wie ein archaischer, oder besser, ein über das Alter behindert gewordener Fremdköper vor, hilflos und dem Kleinkind näher als der erfahrenen Abgeklärtheit des Endvierzigers. Mit einem Lächeln dachte er daran, wie sein sechzehnjähriger Sohn ihm geholfen hatte, die möglichen Fluggesellschaften und Hotels via Internet zu finden, zu sortieren und schließlich zu buchen.

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