Schlagwort-Archive: Angst

SM gefordert [2]

Erkenntnisse: Wer die ersten sechs Monate in unserem Unternehmen übersteht, ist von seinen Versteherkollegen derart emotional abhängig, dass er große Schwierigkeiten hat, sich einen Weggang vorzustellen. Diese Vorstellung wird zusätzlich dadurch erschwert, dass der subversive Vorgang, wie er geistig gebrochen wird, sich dem neuen Kollegen nicht offenbart. Er erkennt deshalb auch nicht, wie er seine Freiheit verliert und dass die Angst davor, dasselbe in einem anderen Unternehmen nochmals zu durchleben, ihn von jeglichem Wechselgedanken abhält. Es ist also nachgewiesen: sM trägt zu einer nachhaltigen Mitarbeiterbindung bei.

Die vorhandenen Machtstrukturen, speziell die informellen, die nicht aus dem Organigramm zu ersehen sind, werden nachdrücklich durch sM gestärkt. Dies führt zu einer robusten Unternehmenskultur im Bezug auf Entscheidungsfindung, Führung und Kontrolle. Es sichert das Unternehmen außerdem vor zu schnellen Veränderungen und tiefen Eingriffen in das bestehende Organisationsgefüge.

Durch sM gelingt es unserem Unternehmen, vollkommen beratungsresistent zu agieren. Die regelmäßig wiederholten Tests durch anerkannt gute Berater wie auch durch nachgewiesene Scharlatane zeigen: An dieser Stelle müssen wir uns keine Sorgen machen. Leicht nachteilig wirkt sich aus, dass die Scharlatane offensichtlich länger sowie bevorzugt mit Aufträgen versorgt werden und auch immer gerne wieder kommen.

Es scheint einen Zusammenhang zwischen sM und der kontinuierlichen Verfehlung unserer wirtschaftlichen Ziele zu geben. Zumindest wird auf diesen Punkt von verschiedenen Außenstehenden immer wieder hingewiesen. Da sich uns der kausale Zusammenhang allerdings nicht erschließt, wurde beschlossen, diesen Indizien nicht weiter nachzugehen.

Resümee:
Gemeinsam mit der Geschäftsführung, dem Betriebsrat sowie ausgewählten informellen Führern wurde der Eigentümer davon überzeugt, dass es absolut notwendig ist, an sM festzuhalten und mögliche Risikofaktoren wie z.B. sM-kritische Berater oder neue Kollegen in der gehobenen Führungsebene rigoros auszuschalten.

Die zu erwartenden Folgen, wie z.B. ein weiterhin tief gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen den Mitarbeitern bzw. die Frustration von Leistungsträgern, sind akzeptable Aufwände für das Erhalten von sM. Sogar dem sukzessiven Ausbau stehen wir positiv gegenüber.

Angstkopplung überwinden und stattdessen mit Sinn binden

Das Schlimme an der obigen Satire: Die Beschreibung beruht auf realen Erfahrungen mit Organisationen. In vielen Unternehmen stehen Politik und politisches Ränkespiel über der Sinnhaftigkeit. Mitarbeiter vom Unternehmen abhängig zu machen, ist der entscheidende Mechanismus. Freiwillige Sinnkopplung als Alternative zu erkennen und Konsequenzen daraus zu ziehen, ist die Ausnahme. Machterhalt und Kontinuität sind die tatsächlichen Begründungen für den Führungsanspruch.

Viele Unternehmen entscheiden sich unbewusst dafür, Angst anstelle von Sinn als Bindungsmechanismus zu verwenden. Angst wird genutzt und prägt das Verhalten. Bei Fehlern werden Schuldige gesucht, gefunden und bestraft. Einkommen wird häppchenweise ausbezahlt, wenn man die Vorgaben erreicht. Spezialisierung ist wichtiger als Überblick.

Es ist notwendig, Angst als Bindungsmechanismus aufzudecken und Fragen nach sinnvollen Begründungen an seine Stelle zu setzen. Sonst kann ein Unternehmensexterner, der irgend wann einmal ins Unternehmen kommt, nur noch traurig feststellen und aufzeigen, wie auch hier systematisch gemobbt, emotional und materiell abhängig gemacht wird und die Führung nur der Macht nachrennt. Häufig ist es so, dass sinnvolle Begründungen langweilig und profan sind, wie etwa: Wir verändern das interne Verrechnungssystem, weil die Steuergesetze es so verlangen. Dem gegenüber trägt Angst immer auch Adrenalin und Heldentum in sich: Ich stelle mich vor Euch und halte Euch die anstrengenden Wirtschaftlichkeitsdebatten mit der Geschäftsführung vom Hals.

Angst kann aufgedeckt und gezielt angegangen werden. Sinnhaftes Andocken und die Offenheit, eigene Sinnentkopplung anzuzeigen kann gewürdigt, respektiert und genutzt werden, um unsere Arbeiten füreinander zu verbessern. Mit Sinnkopplung kommt Ruhe und Gelassenheit in eine Organisation. Sie drückt sich in Rücksicht auf andere aus und einem Klima, in dem Kritik offen wahr- und aufgenommen wird. Falscher Stolz und unerbittlicher Machterhalt wird weniger wichtig, ja vielleicht sogar unbedeutend, wenn wir wirklich den Raum haben, uns selbst beruflich zu erfüllen. Es gilt darauf zu achten, was Menschen an Ihre Organisation bindet, worüber sie reden, womit sie sich rechtfertigen, wie sie sich verhalten. Wer sinngekoppelte Menschen im Unternehmen haben und mit ihnen erfolgreich sein will, muss meist zuerst die bestehende Angstkopplung überwinden.

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Eingeordnet unter 09 kein Ring sie zu knechten, sM gefordert

Sinnkopplung – unternehmerisch mit Sinn umgehen [2]

Eine Organisation die, wie in den vorherigen Kapiteln beschrieben, Formalismen, Bürokratie, Absicherung, Schuldzuweisung und das Funktionieren von Menschen der Intelligenz, Improvisation, Intuition, Narration und gelebten Gemeinschaft vorzieht, wird es kaum mit sinngekoppelten Menschen zu tun bekommen. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter kraft Vertrag, Stellenbeschreibung und Arbeitsanweisung an sich binden und gute Zusammenarbeit formal vorschreiben, nehmen den Menschen die zur Sinnkopplung benötigte Freiheit. Sie gebrauchen Werkzeuge und Technologien zur Überwachung und Überzeugung. Die zu meisternde Herausforderung, um Freiheit geben zu können, ist ein Sozialgefüge, das die damit verbundene Eigenverantwortung und Unsicherheit aushält. Jüngst im betrieblichen Umfeld genutzte Kommunikationswege wie etwa Großgruppenmethoden, Technologien, die eine Einbeziehung von vielen Menschen in kurzer Zeit ermöglichen – Schlagwort Enterprise 2.0 – stabile Zonen, in denen regelmäßig etwa die Meta-Kommunikation oder Kultur des Unternehmens beispielsweise durch moderierte Dialogrunden oder Unternehmenstheater thematisiert wird,  eröffnen immer wieder den Blick auf die Energie, die in Gemeinschaften wirklich steckt. Nichtsdestotrotz blitzt diese Energie in den ansonsten sozial eher tristen Organisationswüsten zumeist nur kurz auf. Das heißt: Wir kennen Methoden, Werkzeuge und Technologien, die den Weg zur Sinnkopplung frei räumen und damit unsere Leistung um Größenordnungen verbessern könnten. Aber leider schaffen Unternehmen nur selten freie Räume, in denen die durch Gemeinwohl-Sinn entstehende Energie dauerhaft verweilen kann. Sinngekoppelte Menschen würden die Energie nutzen und in Leistung umsetzten, Personal wird das kaum und wenn nur zufällig schaffen.

Vor einigen Jahren durfte ich an einem Vortrag von Jürgen Schrempp teilnehmen. Er hielt ihn vor einigen hundert High Potentials des Daimler Konzerns. Voll Begeisterung wies er darauf hin, dass die Kollegen froh sein könnten, im besten Unternehmen der Welt zu arbeiten. Sollten sie sich einmal dafür entscheiden, erklärte er weiter, das Unternehmen zu verlassen, würden sie schnell erkennen, wie Recht er habe. Und sollten sie dann auf die Idee kommen, zurückkehren zu wollen, hätte Daimler mit Sicherheit nicht auf sie gewartet und es gäbe keine Garantie dafür, dass die beste Firma der Welt sie dann immer noch wolle. Um seine Worte zu unterstreichen verwies er auf seine eigene jahrzehntelange Karriere im Unternehmen. Eine Führung, die seinen Mitarbeitern derart Angst vor dem Weggehen machen muss, die ein derartig beängstigendes Bergmassiv auftürmt, kann nicht erwarten, dass viele Menschen einen tieferen Sinn darin finden, dort zu bleiben.
Alle sozialen Bindungen entstehen, leben und vergehen. Das ist keine weltbewegende Weisheit, im Bezug auf Sinnkopplung allerdings sehr wichtig. Will ein Unternehmen Sinnkopplung zum Gemeinwohl nicht unnötige Steine in den Weg legen, ist auch darauf zu achten, wie es mit Trennungen umgeht. Selbst Trennungen im Streit können von Unternehmensseite aus unterstützend begleitet werden, so dass der Mensch, der sich trennt oder von dem man sich trennt, eine gute Chance hat, in Zukunft die für ihn richtige Passung zu finden.
Ich selbst hatte mich einmal mit meinem Chef, einem mittelständischen Unternehmer, in der Auffassung überworfen, wie die Firma zu führen sei. Ich beendete unsere Unterhaltung über die Zukunft der Firma mit dem Satz: „Dann kann ich hier nicht mehr arbeiten!“ worauf er ungefähr mit diesen Worten reagierte: „Das tut mir sehr leid, weil ich ihre Mitarbeit schätze. Gerne würde ich sie behalten, doch wenn sie sich so entscheiden, will ich ihnen keine Steine in den Weg legen. Sagen sie mir Bescheid, wann sie gehen wollen und wir werden sie darin so gut es geht unterstützen.“ Er hatte es ernst gemeint und so blieb ich noch über ein halbes Jahr im Unternehmen, bis ich meines Erachtens nach ausreichend Geld gespart hatte. Dann legte ich meinen letzten Tag fest und die Firma kündigte mir zu diesem Datum betriebsbedingt. Bis zu diesem letzten Tag ging ich gerne dorthin arbeiten, auch wenn ich langfristig nicht gekoppelt war, kurz- und mittelfristig blieb ich es und empfehle das Unternehmen bis heute als guten Arbeitgeber und seinen Eigentümer als Vorbild in Sachen Trennung von Mitarbeitern.

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Eingeordnet unter 08 sinnhaft leisten, Sinnkopplung - unternehmerisch mit Sinn umgehen

Wunsch und Wirklichkeit [1]

Die Episode, die auf Tatsachen beruht und ein täglich millionenfach wiederholtes Ritual der organisierten Verantwortungslosigkeit ist, zeigt viele Dinge aus den Bereichen Management, Führung, Steuerung, Kontrolle, Macht, Denken delegieren, Denken regulieren, Angst, Mut, Befehl, Gehorsam und dergleichen. Einige davon lohnt es genauer anzuschauen, in Annäherung an die These: Management ist Geldverschwendung.

Wunsch: Es muss jemand festgelegt sein, der entscheidet und in Krisenmomenten verantwortlich handelt. Nicht zuletzt dafür braucht, benennt und hat man Manager und Führungskräfte.
Wirklichkeit: Manager übernehmen nicht mehr oder weniger Verantwortung nur aufgrund ihrer Position. Es hängt schlicht vom jeweiligen Menschen ab und der Situation. Auch Herr Schöttgen hätte durchaus den Maschinendeckel öffnen können und nachsehen, ob sich der Fehler einfach beheben lässt.
Indem wir Menschen zu Führungskräften und Spezialisten machen, nehmen wir allen anderen die Notwendigkeit ebenfalls mitzudenken, zu entscheiden und Verantwortung zu tragen. Auf der einen Seite ermuntern wir die Mehrheit abzuwarten, auf der anderen Seite beschweren wir uns hinterher, wenn sie es wegen einer Bagatelle mit kostspieligen Auswirkungen getan hat. Geschieht so etwas, findet augenblicklich das betriebswirtschaftliche Unwort der letzen Jahrzehnte Entrepreneurship einen weiteren sinnlosen Raum für seine Verbreitung.

Wunsch: Manager sind die Antreiber der Wirtschaft, besonnene Aktivposten, stete Veränderer im Sinne des Fortschritts, Wohlstandes und der allgemeinen Verbesserung der Lebensbedingungen.
Wirklichkeit: Herr Schöttgen ist alles andere als ein Aktivposten, während Andreas‘ Vater ganz den Anschein macht. Ob es sich dabei um notwendige Dynamik oder schlicht getriebenen Aktionismus handelt bleibt in unserer Geschichte unaufgeklärt.
Vor kurzem begleitete ich einen Workshop der ersten und zweiten Führungsebene eines Unternehmens mit mehreren tausend Mitarbeitern. Innerhalb der letzen Jahre wurden etliche Firmenzukäufen umgesetzt, eine neue Lead-Marke für das Unternehmen entwickelt und im Markt bekannt gemacht sowie eine Neuorganisation abgeschlossen. Mit dem Workshop galt es, den Startpunkt für einen Prozess zu setzen, der die Top-Führungskräfte zu einem neuen, lebendigen und nach vorne schauenden Team zusammen führen sollte. Die Teilnehmer arbeiteten im Workshop angenehm aufgeschlossen, kontrovers und kritisch die Themen heraus, die von diesem Team zu meistern waren. Es gab ebenso sachlich operative Sachverhalte wie das Data-Warehousing als auch kulturelle Themen wie Kommunikation und hier speziell die allseits erkannte Unsitte, Dinge zu zerreden anstatt sie zu entscheiden und anzugehen oder die fehlende Identifikation vieler Mitarbeiter mit dem Unternehmen aufgrund der vielen unterschiedlichen Historien aus den zugekauften Firmen. Mit den beiden ersten Führungsebenen waren genau die richtigen Menschen zusammen gekommen, um solche Fragen zu klären und Lösungswege zu entwickeln.
Das letze Drittel des Workshops war methodisch und vom zeitlichen Umfang dafür vorgesehen, die aufgekommen Fragen den Teilnehmern als Verantwortlichen zuzuordnen, Aktionslandkarten zu entwickeln sowie Zeiträume zu definieren, bis wann man womit fertig sein wollte. Die für die Lösungen vorgesehene Zeit umfasste die kommenden eineinhalb Jahre. Alles war überraschend gut voran gekommenen und inhaltlich konnten sich die Ergebnisse sehen lassen. Alle im Raum, auch ich als Moderator, warteten darauf, dass der CEO in Aktion treten und die Koordination der Termine und Aktionslisten übernehmen würde. Es lag eine positive Energie von Aufbruch, Schaffenskraft und Lösungswille in der Luft. Nach einer Pause von gefühlten zehn Minuten sagte der mehrere hunderttausend Euro Jahressalär schwere Manager bedächtig und ruhig: „Wir haben so viele Themen und Dinge erarbeitet und hier aufgelistet, da erscheint es mir fast schon anmaßend jetzt Entscheidungen bezüglich Terminen und Aktionen von den Teilnehmern zu fordern. Wir werden die Ergebnisse so festhalten und uns die Zeit nehmen, gründlich über alles nachzudenken. In ungefähr vier Wochen treffen wir uns dann wieder und beginnen sukzessive mit der Umsetzung.“
Nie erlebte ich, dass sich konstruktive Energie schneller aus einem Raum, aus der Haltung und den Gesichtern von Menschen und aus einem Workshop verabschiedet hatte. Dennoch kam auch keiner der anderen Führungskräfte auf die Idee, selbst das Zepter in die Hand zu nehmen. Antreibende Aktivposten stelle ich mir anders vor.

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Eingeordnet unter 07 Management ist Geldverschwendung, Kleine Sache, große Wirkung

Der Betrieb als Fundament seiner Wirtschaftslehre

Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt, warum es Betriebe, eine Grundvoraussetzung für die Betriebswirtschaft, überhaupt gibt und wie sie entstanden sind? Harry Braverman und Sidney Pollard schreiben dazu:

„Kontrolle ohne Zentralisierung der Arbeitskräfte war, wenn nicht unmöglich, so sicherlich sehr schwierig, und daher war die Vorbedingung für das Management die Zusammenfassung der Arbeiter unter einem einzigen Dach.“
Harry Braverman – Die Arbeit im modernen Produktionsprozess

„… es wenige Gegenden im Land gab, wo die modernen Industrien … – sobald die Arbeit in großen Gebäuden verrichtet wurden – nicht mit Gefängnissen, Arbeitshäusern und Waisenhäusern verbunden waren. Dieser Zusammenhang wird gewöhnlich unterschätzt, vor allem von denjenigen Historikern, die davon ausgehen, dass die neuen Fabriken ausschließlich freie Arbeit rekrutierten.“
„Das moderne Industrieproletariat ist nicht so sehr durch Anreiz oder monetäre Entlohnung, sondern eher durch Druck, Gewalt und Angst in seine Rolle eingeführt worden.“
Sidney Pollard – The Genesis of modern Management

Ein Grund für den Betrieb ist sicher die einfachere Koordination und Kontrolle einer Vielzahl von Menschen innerhalb eines abgeschlossenen Raumes. Die brutal totalitären Ausprägungen der Anfangszeit sind heute selten geworden, zumindest in Westeuropa und für meine Generation sind Betriebe das Normalste der Welt. Die Grundmechaniken, die hinter diesen Mauern stattfinden dürfen, heißen allerdings weiterhin Druck, Gewalt und Angst. Sehr viel subversiver ausgeübt als noch vor einhundert Jahren und dennoch allgegenwärtig. Achten Sie einmal darauf, wenn sie das nächste Mal einen der beeindruckend bedrohlichen Großbetriebe betreten. Diese Mischung aus Wohlstand und Abhängigkeit, aus Größe und unter-Druck-stehen, aus Glanz und alkoholisiert gescheiterter Existenz ist die Krankheit, die wir im gesunden Wirtschaften mit strahlend weißen Boni-Verbänden, sterilen Mitbestimmungs-Pflastern und wirkstofflosen Betriebsversammlungs-Placebos aufhübschen.
Der Betrieb erklärt sich auch aus der Notwendigkeit zur Abgrenzung. Viele von uns denken dabei erst einmal an die systemtheoretische Notwendigkeit zur Abgrenzung von sozialen Systemen. Dahinter steckt die schlichte Erkenntnis, dass unsere Identität als Mensch Abgrenzung braucht, um sich zu definieren. Dieser Aspekt wird in Kapitel acht noch eine ausführliche Rolle spielen. In der Wirtschaftslehre braucht es die Abgrenzung vor allem für das Phänomen der externen Effekte. Sie meint damit die Auswirkungen des Handelns eines Unternehmens auf seine Umwelt, für die es nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, beziehungsweise die es in seinem wirtschaftlichen Kalkül nicht berücksichtigen muss. So stand das ausgebeinte Gebäude des Betriebs meines Vaters noch jahrelang leer, weil niemand das Risiko eingehen wollte, die Entsorgung des vermutlich kontaminierten Fundaments zu übernehmen. Die Lösung: Das Gebäude blieb einfach stehen und beherbergt heute – an der Oberfläche renoviert – die Volkshochschule. Andere Beispiele sind die Kosten, die durch schlecht oder falsch endgelagerte radioaktive Abfälle entstehen, volkswirtschaftliche Folgen aufgrund einer Bankenpleite und dergleichen mehr. Die faktische und juristische Abgrenzung des Betriebs wird von der modernen Wirtschaftslehre benötigt, um im Betrieb eigene Gesetze und Regeln, teilweise weithin losgelöst von den Regeln der Gesellschaft umzusetzen. Ein Beispiel: Die Überwachung der Mitarbeiter durch die deutsche Bahn ist zwar gesellschaftlich und moralisch fragwürdig, nach den Betriebsvereinbarungen des Konzerns aber keineswegs illegal. Ohne diese Grenze müsste sich die Lehre bereits seit langem und in allen Belangen der Komplexität des Lebens stellen. Das geschieht seit einigen Jahren sehr zaghaft, dort, wo es nicht mehr zu vermeiden ist.

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Eingeordnet unter 04 Requiem für die moderne Betriebswirtschaftslehre, Der schwere Gang in den Betrieb