Es braucht kein Wunder – warum man Manager zu einem Gutteil abschaffen kann

Liebe Leserinnen und Leser,

wie im letzten Blogpost angekündigt, braucht es weit weniger Führungskräfte, als gemeinhin angenommen. Wichtig dafür ist, dass man das weit verbreitere Führungsmuster des Vordenkers, Gestalters, Umsetzunganweisers und -kontrolleurs überwindet. Wie in eben diesem Blogpost beschrieben.

Wie das ganz praktisch geht zeigt ein Fallbeispiel aus dem Harvard Business Manger vom Januar diesen Jahres. Der wunderbare Titel: Schafft die Manager ab. Dabei geht es um den US-Lebensmittelhersteller Morning Star. Hier vereinbaren die Mitarbeiter regelmäßig Verträge mit ihren Kollegen und ersparen sich so machtpositionäre Fremdkontrolle, fremdgesteuerte Lustlosigkeit und verdrängten Marktbezug. In meinem Workshop diese Woche haben eine Gruppe von sechs Führungskräften eines Mittelständlers und ich einen triftigen Grund entdeckt, warum das Beispiel von Morning Star gar nicht so spektakulär ist und sich auch niemand Sorgen machen muss, bei einem vergleichbaren Ansinnen zu scheitern.

Folgende Flipchart hilft uns dabei es zu verstehen:

Der Kreis im Zentrum ist das Unternehmen. Um das Unternehmen herum gibt es verschiedene (Markt) Akteure/ Faktoren, die den Handlungsspielraum des Unternehmens eingrenzen (§ steht für den Gesetzgeber oder die Gesetze an sich). Wenn ein Manager heute eine Entscheidung trifft, stehen ihm verschiedene Informationen über diese Akteure und Faktoren zur Verfügung. Er kennt sie aus Marktanalysen, der Buchhaltung, dem Controlling, aus aufbereiteten Informationen der (Fach-)Presse, vom Rechtsanwalt etc.. All diese Informationen fließen – ggf. neben Rücksprachen mit den Mitarbeitern – in seine Entscheidung ein. Oftmals sind bei Kenntnis der Faktoren bestimmte Entscheidungsalternativen gar nicht mehr möglich, wie etwa bei neuen oder veränderten Gesetzen.

Was haben wir im Workshop gemacht? Im Workshop haben wir in drei Kleingruppen a zwei Personen Geschäftsmodelle für ein neues Produkt des Unternehmens entwickelt. Die Gruppen haben unabhängig voneinander gearbeitet. Eine Gruppe hatte einen Informationsvorsprung, was Wettbewerbssituation, rechtliche Belange und mögliche Kooperationspartner angeht. Nach ca. 45 Minuten Arbeit haben wir die drei Geschäftsmodelle zusammen gelegt und verglichen.

Das Ergebnis: In den Grundzügen haben alle Gruppen ein ähnliches Geschäftsmodell entwickelt. Alle haben

  • das bestehende Geschäftsmodell des Unternehmens aufgebrochen, da das neue Produkt darin keinen sinnvollen wirtschaftlichen Rahmen gefunden hätte.
  • neue und weitgehend dieselben Kundengruppen identifiziert, die für das Produkt anzusprechen sind.
  • erkannt, dass es eine Mischung aus den bestehenden Strukturen und dem neuen Produkt geben muss, da sonst die Anfangskosten zu hoch sind und das Produkt vermutlich keine Chance hätte, zu einem marktgerechten Preis angeboten zu werden.

Nur die Gruppe mit einem Wissensvorsprung hat ein davon abweichendes Geschäftsmodell entwickelt. Sie wies darauf hin, dass sie allerdings bevor sie spezielle Marktinformationen hatte, dasselbe Geschäftsmodell entwickelte, wie die anderen.

Was im ersten Moment langweilig erscheint ist der Clou: Jede Gruppe hat Risikofaktoren und Möglichkeiten identifiziert, abgewägt und daraus eine vernünftige Lösung erarbeitet. In diesem Fall war es so, dass alle ähnliche Risikofaktoren und Möglichkeiten identifiziert haben. So kamen die verwandten Geschäftsmodellalternativen heraus. Das ist keinesfalls übertragbar. Sehr wohl übertragbar ist: Wenn man Menschen nachdenken lässt, werden sie im Rahmen ihrer Informationsmöglichkeiten (Ratio, Emotion und Intuition) eine vernünftige Entscheidung treffen. Wichtig ist, dass keineswegs die Aufgaben des Managements (nachdenken, gestalten, umsetzen und kontrollieren) abgeschafft werden sollen. Einzig die Konzentration dieser Aufgaben auf einige wenige Personen in Firmen ist unnötig. Genau hier greift die heutzutage inflationär und oft falsch verwendete Dezentralisierung als Muster! Mit der Übergabe dieser Aufgaben in die Breite des Unternehmens wird wiederum Zeit bei den (ehemaligen) Führungskräften frei, sich um die Dinge zu kümmern, die sonst immer hinter den Alltagsaufgaben des Managements unter den Tisch fallen:

  • Aufmerksamkeit und kontinuierliche Entwicklung/ Auseinandersetzung mit der Unternehmenskultur.
  • Unternehmensvision und -ziele als Dauerprozess, wie ab hier im Buch beschrieben.
  • Suche und Integrationsbegleitung von neuen Mitarbeitern.
  • Moderation von Entscheidungsprozessen.
  • Bereitstellung verständlicher Wirtschaftsdaten (Kassentransparenz) für vernünftige Entscheidungen mündiger Mitarbeiter.
  • usw.

Die Erkenntnis: Es entsteht kein Führungsvakuum Wenn wir dem Management seine Kernaufgaben (über die Arbeitseffizienz anderer nachdenken, Zusammenarbeit gestalten sowie Veränderungsumsetzung anweisen und kontrollieren) wegnehmen und sie allen Mitarbeitern übertragen. Es entsteht auch kein Chaos oder Anarchie. Die bestehende natürliche Führung (Gesetzgeber, knapper Ressourcen, Kunden, Wettbewerb usw.) springt augenblicklich in die Presche. Dazu braucht es sicherlich das Vertrauen, dass wir Menschen aus unserem Verstehen der Situation heraus verantwortlich und vernünftig handeln wollen. Natürlich gibt es weiterhin diejenigen, die der Firma willentlich Schaden. Doch die gibt es heute auch schon!

In einer Übergangsphase ist es hilfreich, den Mitarbeitern offenzulegen, wie man als Führung zu Entscheidungen gekommen ist – Denkprozess. Dauerhaft ist wichtig, dass qualitativ gute Informationen und sinnvolles Wissen zu den operativen Entscheidern (jetzt den Mitarbeitern) kommen. Hierfür braucht es die Bereitstellung von Daten und das Hinterfragen ihrer Interpretation als wertvolle Unterstützung. Mehr dazu im Artikel – Musterbruch in der Führung.

Die Frage: Wie wollen wir Personen nennen, die diese Aufgaben übernehmen? Führungskräfte oder Manager trifft es da einfach nicht mehr. Denn in dieser Organisation sind die operativen Umsetzer die Führungskräfte und das Management. Wir haben in unserem Workshop die Pyramide auf den Kopf gestellt, allerdings ganz anders, als ich das bisher kannte ;)!

Grüße Gebhard

PS: Was es mit dem Musterbruch der geistigen Haltung im Flipchart auf sich hat ist ein anderer Blogpost!

2 Kommentare

Eingeordnet unter Affenmärchen in der Praxis, Kassentransparenz

2 Antworten zu “Es braucht kein Wunder – warum man Manager zu einem Gutteil abschaffen kann

  1. Prima Artikel. Ich hätte nur eine Richtigstellung:
    Anarchie wird häufig verwechselt mit Gewalt und Chaos. Dem ist aber nicht so. Es geht allein um ein organisieren in Strukturen ohne Befehlsgewalt von oben, also Hierarchien, in denen erlaubt wird, dass der Eine dem Anderen Befehle erteilen kann. Sich solcher Art zu organisieren nenne ich echte Kunst!
    http://faszinationmensch.wordpress.com/2011/07/13/anarchie-ist-eben-nicht-chaos-und-gewalt-es-geht-um-keine-hierarchie-in-verantwortungsvoller-selbstorganisation/
    LG Martin

    • Danke für die Präzisierung. Natürlich spiele ich dem allgemein bekannten Vorurteil von Chaos und niedriger Gewaltschwelle, wenn ich von Anarchie spreche.
      Leider sind nur wenige so aufgeklärt wie Du, Martin.

      Welches andere Wort gibt es, mit dem man Chaos und niedrige Gewaltschwelle so schnell ausdrücken kann wie mit Anarchie?
      Kennst Du eines?

      Gruß
      Gebhard

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