Edu hatte endgültig genug davon, dass andere ihm erklärten, wie sinnvoll es war, den Kunden hinzuhalten und lieber zwei weitere Monate Budget heraus zu holen, anstatt das Projekt zu beenden. Er mochte nicht mehr stundenlang in zermürbenden Sitzungen der Selbstprofilierung von aufgeblasenen Endplatzierten lauschen müssen, weil sie eben die Anteilseigner der Firma waren und er konnte sich nicht mehr vor seinem Chef ducken, obwohl dieser schon seit geraumer Zeit besser mit seinen Golfschlägern hantierte als mit den Technologien seiner Firma. Er hatte es satt. Sein Kollege und zukünftiger Partner in der gemeinsamen Firma fasste die Stimmungslage so zusammen: „Wenn man jahrelang in der Scheiße rührt, ist es irgendwann Zeit, sich die Hände zu waschen.“
Bei der nun folgenden Gründung hatten sie keine revolutionäre Produktidee oder eine technologische Weltneuheit. Was sie hatten war ein nüchternes Verständnis für die Grenzen und Leistungsfähigkeit von Social Media Web Portalen. Sie kannten die Bedarfe von Unternehmen und wussten, weshalb die Wettbewerber nicht zum Zug kamen. Außerdem nahmen sie aus ihrer Firma zwei Interessenten mit, die eine Technologie suchten, bei ihrem alten Arbeitgeber nicht richtig zufrieden waren und bei denen sich Edu und sein Partner exzellent mit den Firmenchefs verstanden. Unter diesen Voraussetzungen ging es recht schnell. Nach sechs Monaten hatten sie eine Firma mit zwei mittelgroßen Projekten und drei Mitarbeitern. In Gesprächen vergaß Edu niemals zu betonen, dass es ihnen nicht so sehr darum gegangen war, selbständig wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Ihr Beweggrund war vielmehr immer gewesen, ohne die ganzen Kindergartenspielchen arbeiten zu können. Endlich ohne Machtspielchen zwischen den Mitarbeitern der ersten, zweiten und untersten Klasse Leistung erbringen, Humor und Spaß „uff Maloche“ zu haben und wenn man einen schlechten Tag hat, auch einfach einmal im Bett liegen zu bleiben, bis der Abend herein bricht und die Energie zurück kommt.
Die Betriebswirtschaftslehre nimmt es als gegeben an, dass Unternehmer – oder eigentlich jeder – vor allem anderen die Wirtschaftlichkeit als Maß für Erfolg ansetzen. Diese Haltung hat unsere Gesellschaft bereits so verinnerlicht, dass viele – ausgerechnet Nichtunternehmer – gerne den Glaubenssatz aussprechen: Am Ende des Tages muss auch Geld verdient werden. Das ist Quatsch!
Natürlich gibt es Unternehmen, die wirtschaftlich sind und Gewinne schreiben, Gott sei Dank! Neben diesen gibt es allerdings auch eine ganze Menge Unternehmen, die weder Gewinn machen, noch den Eindruck erwecken, es jemals tun zu wollen. Sonst müssten sie schon lange anders handeln. Zwei Beispiele aus meiner eigenen Praxis verdeutlichen das.
- Mäzen: Bei der ersten Firma handelt es sich um ein Produktionsunternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien. Über zwei Jahrzehnte hinweg, die das Unternehmen bereits existiert, gibt es zwar Jahre in denen Gewinn gemacht wurde, die Gesamtbilanz ist allerdings, unter wirtschaftlichen Aspekten betrachtet, eher schauderhaft. Die Investition hat sich bisher für den Eigentümer in keiner Weise gerechnet und das obwohl beim Wettbewerb bereits seit mehreren Jahren gute und satte Gewinne gemacht werden, die das Kapital der Eigner verzinsen. Betriebswirtschaftlich rational richtig wäre gewesen, das Unternehmen für eines der in der Vergangenheit verschiedentlich gemachten Übernahmeangebote an den Wettbewerb abzugeben. Das ist nicht geschehen weil der Eigentümer ein Kämpfer der ersten Stunde für erneuerbaren Energien ist. Da ist es am Ende des Tages egal, ob man wirtschaftlich ist oder nicht. Es ist wichtiger, mit dem gesamten Unternehmen einen Möglichkeitsraum zu schaffen, der einen in der Branche technologisch ein Wörtchen mitreden lässt und innovative Solarenergiekonzepte für Jedermann entwickelt sowie marktfähig macht.
- Erfinder: Bei der zweiten Firma handelt es sich um ein Entwicklungsunternehmen, dass seit mehr als einem Jahrzehnt daran arbeitet, eine neue Technologie, ebenfalls im Bereich Energie, marktreif zu bekommen. Die ersten Tests, bereits aus den achtziger Jahren, versprechen entscheidende Fortschritte in technologischen Leistungsdaten und in ökologischen Gesichtspunkten wie etwa die Recyclebarkeit. Das Unternehmen durchlief zwei Insolvenzen, beide aufgrund von politischen Machtspielchen zwischen den Gesellschaftern und hat während der gesamten Firmengeschichte noch keinen Eurocent Gewinn gemacht. Natürlich hoffen hier alle auf den Durchbruch, der die Technologie marktreif und massenproduktionsfähig macht. Die lange Entwicklungszeit hat die deutlichen Unterschiede zum Wettbewerb allerdings bereits merklich reduziert und nach wie vor ist nicht sicher gestellt, dass eine Serienproduktion überhaupt möglich ist. Dennoch hält der Erfinder an seinem Traum, seiner Vision fest. Das wirtschaftliche Finish bleibt hier, auch ohne Gewinn, weiterhin offen!
Unternehmensgründungen resultieren eben nicht in erster Linie aus Wirtschaftlichkeitsüberlegungen. Schon gar nicht bewirken solche Überlegungen Entscheidungen und Handlungen von Unternehmern und Führungskräften im Sinne der Nachhaltigkeit. Keine ökonomisch noch so erfolgreiche Erfindung oder Innovation entspringt schierem Wirtschaftlichkeitsdenken. Es erzeugt nur Pseudorationalisierung. Unternehmer handeln, weil sie es wollen, können, keinen Grund sehen es nicht zu tun oder mit ihrer aktuellen Lebenssituation unzufrieden sind. Für manche mag eine beängstigende Vorstellung sein, dass Menschen etwas unternehmen, ohne irgend jemandem – nicht einmal sich selbst – zu wirtschaftlichem Wohl verhelfen zu wollen.
Wirtschaftlichkeitsüberlegungen beziehen ihre Bedeutung noch aus einer anderen Rolle: Sie dienen der Schuldzuweisung, der Hatz auf Sündenböcke, denn mit wirtschaftlichem Verlust oder Abstieg wird in unserer Gesellschaft ganz klar zwischen guten und schlechten Menschen, Gewinnern und Verlieren, Genies und arroganten Idioten unterschieden. Hätten wir mehr auf Qualität statt Quantität orientierte Erfolgsmaßstäbe, wäre unsere Gesellschaft vermutlich offener, vielfältiger und sinnhafter und wahrscheinlich gäbe es weniger Superreiche und mehr Wohlhabende. Dazu bräuchte es allerdings mehr als selbstgefällige Zahlenspiele.
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Hallo Gebhard,
dieser Teil des Buches ist sehr interessant – erinnern mich diese Beispiele sehr an meine eigene Vergangenheit: diese Machtspielechen und die unproduktiven Meetings und Zieldefinitionen etc…..
Dies waren immer wieder Gründe für mich, das jeweilige Unternehmen zu verlassen.
Als ich dann schließlich zum 31.12.2008 dem letzten Unternehmen gekündigt hatte, diesmal zum ersten mal ohne einen neuen Vertrag in der Tasche zu haben, startete ich dann tatsächlich am 5.1.2009 meine eigene Selbständigkeit. Auslöser war die „Wirtschaftskriese“, wodurch der Verterag, den ich eigentlich bei einem größeren SW-Haus unterschrieben hatte, bei dessen Vorstand wegen zurückgezogener Projekte liegengeblieben ist. Für mich war es ein Glücksfall, denn das war der Anstoß, auf eigenen Beinen zu stehen. Natürlich standen auch weiterhin wirtschafliche Interessen auf dem Plan – aber nur, um erstmal über die Runden zu kommen.
Gerade erst letzte Woche habe ich zwei doch recht lukrative Angebote, meine Selbständigkeit aufzugeben, ausgeschlagen.
Die Gründe sind gemäß „Affenmärchen“ gut nachvollziehbar.
Bin gespannt, wie es weitergeht.
Grüße, Hans
Ich gehe davon aus, dass die meisten Unternehmen aus irgendeinem Idealismus heraus gegründet werden. Sei es, einfach die Dinge anders zu machen, sei es, einfach andere Dinge zu tun. Auch die etabliertesten Unternehmen haben mal so angefangen. Ich finde es schon bemerkenswert, dass aus diesen Idealisten im Verlaufe des Firmenwachstums oft genug genau die Art von Chefs werden, weswegen sie sich ursprünglich für die Selbstständigkeit entschieden haben. Es geht aber auch anders, dazu ein Beispiel aus meinem Umfeld:
Ich kenne einen Malermeister. Er hat sich vor Jahren mit seinem Meisterbrief selbstständig gemacht. Die Firma läuft gut, sie wächst und gedeiht, er verdient sehr gutes Geld. Ein paar Jahre, zig angestellte Gesellen und Firmenfahrzeuge später, verkauft er seine Firma und fängt noch einmal von vorne an. Ich muss nicht betonen, wieviel Unverständnis er für diese Entscheidung geerntet hat. Aber warum hat er das getan? Statt Kundenträume in der Raumgestaltung zu erfüllen, saß er nur noch am Schreibtisch und managte sein Unternehmen. Er kümmerte sich um Kennzahlen, mit Personalmanagement und -führung, um die Werbung und Akquise. Mit seinem ursprünglichen Traum der Selbstständigkeit hatte das nicht mehr viel zu tun. Heute ist er allein unterwegs, mit einem Fahrzeug. Er bildet aus und hat immer ein bis zwei Lehrlinge. Er macht kein Marketing mehr, sondern vertraut darauf, dass sich seine Leistung herumspricht (was es tatsächlich auch tut, sein Auftragsbuch ist voll). Er kann wieder das tun, was er immer wollte: Menschen ein schönes Zuhause schaffen. Sein Betrieb schreibt schwarze Zahlen, ohne dass er mit den Gewinnen reich werden könnte, aber das ist ihm nicht so wichtig. Er kann mit seiner Arbeit gut leben. Finanziell, aber, was ihm viel wichtiger ist: Auch seelisch. Und man merkt ihm das an – aus einem gestressten Unternehmer/Manager ist wieder ein ausgeglichener, zufriedener Mensch geworden.