Manuel, seines Zeichens Vertriebsgeschäftsfüher, wusste von sich, dass er ein temperamentvolles Gemüt hatte. So zumindest der Versuch von denen, die ihm wohlgesonnen waren, seinen Charakter mit Humor positiv zu umschreiben. Hinter vorgehaltener Hand oder nach dem dritten Glas Wein sinnierte er gerne darüber, dass es für ihn dazugehörte, Mitarbeiter die in seinen Augen nicht richtig arbeiteten, auch mal vor versammelter Mannschaft abzuwatschen. Bildlich gesprochen versteht sich. Zum richtigen Zeitpunkt ein Exempel statuieren, so lehre die Geschichte, schweißt Organisationen zusammen und stutzt allzu eifrige Emporkömmlinge zurecht. Wer keine Angst vor ihm hatte, konnten die Euphorie in seinen Augen glitzern sehen, wenn er gerade einmal wieder statuierte oder darüber sprach.
Durch das neue Veränderungsprojekt, das vor vier Monaten begann, hatte er eine ganz andere Dimension seiner Leidenschaft entdeckt. Die Exekution für eine höhere Sache. Seit sie sich mit den Beratern zusammen vorgenommen hatten, nicht nur einen Prozess neu zu strukturieren, ein neues Produkt zu entwickeln oder die Administration zu verschlanken, sondern stattdessen die gesamte Kultur und vor allem das Management an sich zu reformieren, seitdem konnte er gar nicht mehr an sich halten. Seine Energie floss auf der einen Seite in produktiv konstruktive Aktionen wie die spontane Einbeziehung von Mitarbeitern aller Ebenen und Bereiche in Restrukturierungsworkshops. Auf der anderen Seite verpasste er keinen Moment, um im Namen der neuen Philosophie alte Rechnungen zu begleichen, etwa indem er unliebsame Kollegen regelmäßig ob ihrer augenscheinlichen Dummheit bezogen auf die neue Kultur öffentlich mobte. Natürlich hatte er das alleinige Recht zu verstehen, was diese neue Kultur ausmachte. Es war die Mischung aus vorwärts Stürmen und das Kriegsbeil nieder krachen lassen, wie man es aus modernen Heldenepen a lá Braveheart oder auch Mangastreifen im Stile von Kill Bill kennt. Natürlich ohne Blutvergiessen oder abgetrennten Gliedmaßen. Die Gewalt, die er im Namen der Sache ausüben konnte, genoss er und zelebrierte sie.
Wir alle kennen solche Menschen. Brachiale Egoisten, die keine Scheu haben, Gewalt auszuüben, um einen persönlichen Vorteil zu erreichen. Vielleicht haben Sie jetzt gerade das Bild einer solchen Person aus ihrem Umfeld vor Ihrem geistigen Auge? Schrecklich, unmoralisch, ethisch zweifelhaft und doch sind gerade auch sie faszinierend. Das System scheint sie zu brauchen, so wie unser Immunsystem weiße Blutkörperchen braucht, die einen Krankheitserreger auch nicht erst einmal danach fragen wie es ihm geht und wie schwer seine Jugend war, bevor sie ihn auffressen. Wie sonst wäre es zu erklären, dass wir sie in unseren Unternehmen immer wieder gewähren lassen. Sie blasen sich auf, teilen ordentlich aus, sind selbst mimosenhaft sensibel, hängen den Macho oder die streitbare Amazone heraus, spielen mit allem was sie haben – Kraft, Sex, Macht – und haben ungeschminkte Lust an ihrem Verhalten. Zum Glück sind wir anders, haben Anstand und Moral, sind ethisch, mitfühlend und kennen die guten Manieren zwischenmenschlichen Verhaltens.
Die Gewalt dessen, der verbal oder physisch auf einen anderen einschlägt ist unverhohlen, offen, transparent. Die Gewalt derer, die via Gerüchteküche, Politik oder Meinungsäußerung in Abwesenheit der Betroffenen Rangordnungen und Verantwortungen verändern, ist gedeckelt, zurückgezogen, undurchsichtig. Dennoch ist beides Ausdruck von Gewalt und wer es noch nicht gemacht hat werfe den ersten Stein aus seinem Glashaus heraus. Robin Dunbar erkennt in der Sprache, die zu mehr als sechzig Prozent aus Klatsch und Tratsch besteht, vor allem den Nutzen, dass wir uns nicht mehr prügeln müssen. Wir können unsere Rangkämpfe jetzt abstrakt ausführen. Allerdings bleiben es Rangkämpfe. So stellen sich die Integren und moralisch Korrekten über die primitiven physischen Gewalttäter und beanspruchen, gewaltfrei zu sein.
Erst wenn wir anerkennen, dass Gewalt zu uns gehört wie Fortpflanzung, Essen, Trinken und Atmen, dass sie ein natürlicher Anteil unserer Menschlichkeit ist, dass wir Lust empfinden, wenn wir sie ausüben und wenn wir uns dann auch in dieser Beziehung annehmen wie wir sind, können wir anfangen, mit unserem Gewaltpotential, das sicherlich sehr unterschiedlich ist, konstruktiv umzugehen. Bis dahin werden wir sie weiterhin gerade in unserer Arbeitswelt gegen andere Menschen richten. Schließen wir Frieden mit unserer eigenen Gewalt und geben ihr einen Raum, sei es im Sport, in Schachturnieren, beim Improvisationstheater, in der Malerei oder bei lauter Musik aus dem Autoradio, dann werden wir fähig wirklich zu kooperieren!
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Abbauf und Wiederaufbau, Umbau – Destruktion und Konstruktion sind nichts per se schlechtes. Ich rede dann von Wandel und Entwicklung. Es liegt in der Natur der Sache, dass Wandel für den einen oder anderen unangenehme Gefühle mitbringt, manch einer fühlt sich da auch als Opfer.
Soviel zu Deinen ersten drei Gegenfragen. Schon bei der nächsten regt sich mein nächster Widerspruch. Ein System wie die Sklaverei würde ich auch als zerstörungswürdig ansehen, für die Sklavenhalter wäre es sicher auch schmerzhaft. Ich sage bewusst „wäre“. Wurde die Sklaverei zerstört? Im Namen des Kampfes gegen die Sklaverei wurden Millionen umgebracht. Der Begriff der freien Arbeit ist angesichts des weltweiten neoliberalen Lohndumpings eine bittere Ironie – oder? Millionen von Arbeitenden alleine in Deutschland sind in ihren Niedriglohnjobs alles andere als frei.
Die Frage
> Wie schaffst Du synergetische Gruppen
> ohne Hierarchien aufzubrechen und zumindest
> teilweise zu zerstören?
ist spannender. Gesetzt den Fall einer der alten hierarchisch betonierten Führer einer Gruppe beharrt auf seinem Führungsanspruch und verhindert die kollaboarative Verschiebung der Hierarchien. Jegliche Möglichkeit ihm einen Weg aus der Grupper heraus zu ebnen, bei dem er nicht das Gesicht verliert, scheitert. In diesem Fall würde ich eher die Gruppe auflösen und in neuem Kontext neu entstehen lassen. Der alte Führer wird das mit Sicherheit als schmerzhaft empfinden – das kann ich aber vertreten. Ich lehne es jedoch ab ihn gewaltvoll fertig zu machen, ihn zu brechen, ihm eine Verleumdung anzuhängen um ihn feuern zu können – das sind reale Beispiele, die ich in Firmen schon erlebt habe.
Ich erlebe es oft so, dass Gewalt eine Ausweichhandlung ist. Auseinandersetzung und Interaktion in Gruppen sind immer auch mit negativen Gefühlen behaftet. Manche einer scheut diese Gefühle und greift lieber zur Gewalt um sich diesen Gefühlen nicht stellen zu müssen.
Mir ist bewusst, dass (wohl gemeinte) Handlungen, bei Beteiligten Schmerzen auslösen können, das lässt sich nicht immer vermeiden und muss getragen werden. Der Agierende muss sich die Frage stellen ob er das verantworten kann – das ist dann ggf. eine ethische Frage. Ein gezieltes Zufügen von Schmerz und damit ist nur körperlicher Schmerz gemeint ist jedoch etwas anderes – das nenne ich Gewalt, die ich ablehne.
Hallo Eberhard,
vielen Dank für Deine Ausführungen, die meinen Gedanken nahe sind, die ich hatte, während ich diesen Abschnitt geschrieben habe.
In Mitten dieser Gedanken habe ich Immo Sennewalds Buch in die Hände bekomen und auf dem Rücken prangen die drei Worte GEWALT-MACHT-LUST?
Er schildert darin seine Auseinandersetzung mit diesen Begriffen, ihrem inneren Zusammenhang und mit seiner Sehnsucht nach einer anderen Konfliktkultur in unserer Gesellschaft.
Doch wie sieht es mit uns aus?
Warum gehört es zum guten Ton, das eigene Gewaltpotential und die eigene Lust daran in schöne Worte wie „wohl gemeint“, „lässt sich nicht immer vermeiden“, „Wandel und Entwicklung“ oder „mit Sicherheit schmerzhaft“ zu kleiden, um es nicht beim Namen nennen zu müssen?
Ich habe einmal ein Radiointerview mit einem im 3. Reich verfolgten, deportierten und davon gekommenen alten jüdischen Herren gehört. Thema war, ob es sinnvoll ist, Rechtsradikalen das Recht auf Demonstration zuzusprechen. Der jüdische Herr antwortete zur Überraschung des Interviewers:
Wer entscheidet darüber, ob es Gewalt ist oder nicht?
Derjenige, der die Schmerzen nicht vermeiden kann und die Entscheidung trägt oder derjenige, der die Schmerzen spürt?
Ein spannendes Thema!
Was denken die anderen Leser?
Welche Aspekte werden bisher übersehen?
Gruß
Gebhard
Hallo Eberhard,
vielen Dank für Deinen Widerspruch!
Meine Fragen dazu:
Ich bin gespannt und freue mich auf die weitere Auseinandersetzung.
Gruß
Gebhard
Ja, diese Menschen sind aber besonders dann gefragt, wenn es Firmen schlecht geht und gesiebt werden soll. Sobald es gut läuft, sind sie aber eher hinderlich und müssen aufgrund weglaufender Mitarbeiter dann auch selber gehen.
*hmmm … das sehe ich anders. Zum Menschsein gehört m.E. das Interagieren, das Rollen-Suchen und Finden, die Rollen- und auch Machtkämpfe in der Sippe, dem Team oder der Abteilung. Es gehört auch die Lust am „Einfluss“ oder „Macht haben“ dazu. Zum Bedürfnis nach Einfluss, Macht und Wirkung kann ich stehen. Gewalt ist aber etwas anderes, Gewalt ist destruktiv und dient vor allem anderen der Verletzung und Schädigung des Gegenüber das ist m.E. keine Lösung.
Ich bin mir sicher, dass „Lust am Einfluss oder Machthaben“ uns erst als Instrument gut notwendig erschien, als in „unseren“ Ländern sich die matriarchalen Strukturen zu patriarachlen wandelten. In matriarchalen Strukturen, wie wir sie noch heute in vielen indigenen Völkern finden, gibt es keine Worte dafür. Auch nicht für Diebstahl und Mord. Hier helfen Rituale, dass es erst gar nicht dazu kommt, dass sich der Eine über den Anderen stellen kann. Siehe die Artikel auf matriarchat.info.
Hallo Herr Bartonitz, vielen dank für den Hinweis. Die Rituale, die der Klärung der gruppendynamischen Rollen dienen, sind in unserer patriachalischen Gewinnoptimierunggesellschaft definitiv verloren gegangen, viele Grüße Eberhard Huber