Schärfer, als es je ein Geschäftsführer formulieren würde, hat James R. Bright von der Harvard Business School den Wunsch nach Funktion ausgedrückt:
„Abstrakt gesehen sind alles dies nichts anderes als Versuche, die Menschen dazu zu zwingen, an denjenigen Stellen der Fertigungsstraße, wo Maschinen nicht verfügbar oder nicht wirtschaftlich sind, widerspruchsfrei in der gewünschten Weise zu arbeiten. … Das Bestreben geht dahin, zeitlich festgelegte, voraussagbare, konsistente Produktionsarbeit von den Menschen zu erhalten. Doch ein solches Verfahren kann zwangsläufig nicht perfekt sein. Als Glieder oder »Widerstände« in der Supermaschine sind Menschen nicht mechanisch zuverlässig. Weder »reagieren sie widerspruchsfrei in der gewünschten Weise«, noch können sie dazu gezwungen werden.“
Genau hieraus erwächst der Wunsch nach „unternehmerischem Denken und Handeln“ der Mitarbeiter. Die „mechanischen Unzuverlässigkeiten“, die der Mensch von Natur aus hat, sollen also ausgeglichen werden, indem man ihn auf das Unternehmenswohl – meist gleichgesetzt mit dem Unternehmensprofit – einschwört. Nun sind mechanistische „Unzuverlässigkeiten“ nicht einfach nur Widerstände, es sind Intelligenz, Intuition, Empathie, Gestaltungswille, Fähigkeit zur Improvisation usw. Unterdrückt ein Mensch, um zu funktionieren, Hirn und Gefühle – wie soll er den Spagat zum Unternehmertum, zur Selbständigkeit meistern? Geschäfteführern fällt es erstaunlich schwer, diesen Widerspruch zwischen persönlicher Integrität der Mitarbeiter und mechanischem Funktionieren wahrzunehmen.
Wie weit wir dieses Verfunktionieren getrieben haben, macht eine Urlaubsanekdote deutlich. Auf einem Parkplatz an der Costa Brava stellten wir unser Auto ab. Wir brauchten einen Parkschein und so machte ich mich auf den Weg zum entsprechenden Automaten. Bei der Maschine handelte es sich um ein deutsches Fabrikat. Während ich den Parkschein löste, entdeckte ich einen Sprach-Knopf. Meine Neugierde war geweckt, welche Sprachen sich dort wohl finden ließen und so drückte ich ihn. Die Anzeige sprang sofort vom spanischen „Bienvenido“ auf das regional gesprochene katalanische „Benvingut“. Der nächste Drücker brachte das italienische „Benvenuti“ zum Vorschein und dann kam auf Französisch „Bienvenue“. Die Logik war klar und doch wollte ich jetzt wissen, ob es auch eine deutsche Begrüssung gab, also drückte ich erwartungsfroh weiter und nach dem englischen „Welcome“ musste ich schallend lachen, stand da doch „Betriebsbereit“ im Display.
Das Paradox von Funktion und Unternehmertum lässt sich auflösen, erkennt man die Absurdität der Objektivierung menschlicher Arbeit. Unsere Fähigkeiten und Talente sind nicht in quantifizierte, gemessene Funktionen zu packen, zu standardisieren und in Formeln verwertbar, wenn man ein sinnvolles, ein menschliches Ergebnis haben möchte. Wir müssen uns vorurteilsfrei ein neues Bild von Arbeit generell machen. In diesem Bild sollen Menschen nicht mehr aufs Funktionieren reduziert werden. Stattdessen sind sie dazu da, etwas zu unternehmen. Dafür braucht es weniger messende Methoden für geschlossene Systeme. Stattdessen benötigen wir mehr agil adaptive soziale Vorgehensweisen in offenen Systemen. Die Devise kann lauten: Raus aus der taylorschen Funktions-Leichenstarre und hinein in ein menschlich erfüllendes Arbeiten.
Hallo, soeben habe ich eine Mail mit einer aktuellen Geschichte erhalten, die von ihrem Autor als hierzu passend angesehen wurde. Leider ist der Autor noch so sehr in der beschriebenen Welt unterwegs, dass er selbst die Geschichte hier nicht als Kommentar anfügen möchte, was ich somit gerne übernehme:
Systemisches Denken – ja das ist es!
Es erinnert mich an ein Gespräch mit einem Diplomanden, der in einem Produktionsbetrieb herausfinden sollte, welche Fehler an den Produkten für deren verspätete Auslieferung verantwortlich sind.
Im Gespräch fragte ich ihn, „Hast Du schon mal in einem Stau auf der Autobahn gestanden?“, Antwort, „Ja! Warum?“, … „War Dein Auto kaputt?“ — „NEIN!“
… und doch hat er ebenfalls gestanden, obwohl alles an seinem Auto in Ordnung war. So kann es gehen, wenn sich nur auf die Fehler nicht jedoch auf die Auswirkungen im komplexen Organisationsgefüge Rücksicht genommen wird bzw. diese nicht gesehen werden.
Komplexität vermindert sich stets, wenn die Mentalen Modelle offengelegt werden (Transparenz)
Hallo,
ein schöner Satz: „Raus aus der taylorschen Funktions-Leichenstarre und hinein in ein menschlich erfüllendes Arbeiten.“ Ich muss gerade Bewerbungsschreiben vorbereiten. Wie krieg ich es nur hin, dass ich damit neben dem Geld auch zu einem „menschlich erfüllenden Arbeiten“ komme? Realistischerweise muss ich beim Bewerben alles, was MICH ausmacht, leugnen und lediglich (aber wenigstens das) die dabei angeeigneten Fähigkeiten anpreisen als ausbeutungswürdig.
Hier ist auch noch ein interessantes RealProjekt zu Arbeitsformen: http://philosophenstuebchen.wordpress.com/2011/04/07/yes-we-are-open-%E2%80%93-eine-offene-werkstatt-in-berlin/
Ich möchte gerne Unternehmer im Sinne von (Firmen)Inhaber verstehen. Diese haben ein Interesse Ihr Unternehmen auch für die Zukunft ordentlich zu entwickeln und langfristige Perspektiven aufzubauen. Diese tragen auch ein Risiko und sollten dafür belohnt werden. Gekaufte Manager in Großkonzernen bzw. Aktienunternehmen spielen mit anderen Regeln und ohne Risiko wenn es daneben geht. Es geht ja in diesem Fall um die Optimierung der eigenen Bezüge in einem vertraglich vereinbarten Zeitabschnitt. Wie sich mit den getroffenen Entscheidungen das Unternehmen mittel – oder gar langfristig entwickelt ist leider in aller Regel keine relevante Größe in den Verträgen.
@ Martin
War das Scheitern des Sozialismus nicht durch den realen Kapitalismus verursacht?
Gebhard
Meine eigentliche Frage ist aber, kommt einem „Unternehmer“ früh vor dem Spiegel nicht ab und zu in den sinn das er ebenso „fehlerhaft“ ist, wie sich gerade in der letzten Zweit immer wieder herausstellt. Die Wirkungen sind so groß das der Steuerzahlöer eingreifen muß. Wo bleibt da die Gewährleistung der Gerechtigkeit zwischen Krisenverursachung und -tilgung, wenn heute schon wieder gezockt wird?
Hallo Michael,
In meiner Rolle als Unternehmer kann ich sagen, ja, mir kommt das regelmäßig in den Sinn. Und nicht nur, wenn ich vor dem Spiegel stehe. Wie es den anderen Unternehmern en gros geht, weiß ich nicht.
Mir ist dazu die Frage eingefallen: Wenn es einem Unternehmer auffällt, dass er auch so „fehlerhaft“ ist, wie alle anderen Menschen, was macht er dann?
In einer auf freies und friedliches Zusammensein ausgelegten Gesellschaft wird es wohl immer so sein, dass die Gemeinschaft für Fehler aufkommt, die auf das Konto einiger weniger gehen, von denen allerdings die damit zusammen hängenden materiellen Konsequenzen einfach nicht getragen werden können.
Wenn wir nicht in Diktaturen, Monarchien, Autokratien etc. leben wollen, werden wir an dieser Stelle um Solidarität anstatt von Gerechtigkeit wohl nicht herum kommen.
Eine Frage die mir hierzu einfällt:
Was tut wir, die wir mit den Fingern auf die Schuldigen zeigen denn, um den nächsten vom Menschen gemachten Schrecken zu verhindern?
Gruß
Gebhard
Nur gut, dass inzwischen immer mehr automatisiert werden kann. Nur schade, dass der Gewinn dadurch nicht dazu führt, dass wir dann auch weniger arbeiten müssen. Aber so ist das halt in userem Kapitalismus, der seit dem Scheitern des realen Sozialismus als das Maß aller Dinge gilt. Alles dem Unternehmer, da er das Risiko trägt. Oder?
Hallo Herr Bartonitz,
spannende Rückschluss, da ich den Rest des Buchs schon kenne, sage ich an der Stelle schlicht: Abwarten ;)!
Gruß
Gebhard Borck