Eines schönen Morgens saß der Organisationsberater im Büro des Geschäftsführers eines mittelständischen Maschinenbauers. Es war, standesgemäß, das Eckbüro im obersten Stock von wo aus man das gesamte Fabrikgelände überschauen konnte. Der Geschäftsführer erzählte gerade von seinen Problemen, zu deren Lösung das Beratungsunternehmen beitragen sollte. Der Berater hatte ihn gefragt, wo er denn hin wolle, was denn die Zielsetzung des Projektes war. Sein Gegenüber erklärte ihm: „Wir haben uns, Stand heute, aus dem Konzern ausgekauft. Damit haben wir Agilität gegen den schützenden Regenschirm in Krisenzeiten eingetauscht. Ich bin überzeugt von unseren Mitarbeitern und unserer Leistungsfähigkeit und möchte, dass jeder Einzelne sich so in die Firma einbringt, als ob es seine wäre. Ein Mittelständler kann es sich nämlich nicht leisten, Trittbrettfahrer mitzuschleppen.“ Das Gespräch ging weiter und der Organisation-Experte war nach wie vor darauf konzentriert, die Spannweite des Projektes zu erfassen. Vielleicht fünf Minuten später wurde sie vom Geschäftsführer klar markiert: „Es wäre schon ausreichend, wenn alle richtig funktionieren würden. Damit wären die Probleme vom Tisch.“
Vermutlich ohne es zu bemerken und in der den Geschäftsführern eigenen Lässigkeit, hatte auch dieser Chef das große Paradox des zwanzigsten Jahrhunderts in auffordernde und erwartende Worte gefasst. Menschen sollen funktionierende Unternehmer, intelligente Produktivitätsbestien und immer leistungswillige Risikogewinner sein. Das alles natürlich im Sinne und Verständnis des Unternehmens/ Unternehmers.
Wie weit dieses Paradox geht, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Bereits Frederick Taylor wollte Kontrolle über die Arbeit mit Hilfe ihrer Darstellung als Funktion gewinnen. Dazu führte er die Zeitstudie als Methode ein. In ihr ging es darum, für jede einzelne Verrichtung eines Arbeitsprozesses die verbrauchte Zeit zu messen, um die Dauer der Verrichtungen und damit die Dauer jedes beliebigen Arbeitsprozesses vorher bestimmen zu können. Ergänzt wurde seine Methode von Frank B. Gilbreth durch die so genannte Bewegungsstudie. Sie umfasst die Erforschung und Klassifizierung der Grundbewegungen des menschlichen Körpers. Die Bewegungsstudie diente zur Verallgemeinerung von Bewegungsabläufen, unabhängig von der konkreten Arbeitssituation, in der die Bewegung ausgeführt wurde. Beide Verfahren zusammen wurden über die Jahre stetig verfeinert, sowohl in der Zeitmessung, wie in der Beschreibung von Bewegungen. Die University of Wisconsin listete in einem Leitfaden von 1963 die wichtigsten Symbole der Bewegungselemente auf. Unter ihnen finden sich etwa die detaillierten Unterscheidungen von Greifen (G):
- G1= Kontaktgriff (Aufheben von Marke durch Berühren mit Fingerspitzen)
- G2= Zufassungsgriff (Daumen drück gegen Finger)
- G3= Umfassungsgriff (Hand umfasst Gegenstand)
- G4= Wiederzugriff (Hand verschiebt Gegenstand, um ihn neu in den Griff zu bekommen)
Später nahm man in die Bewegungsstudie Faktoren wie Beschleunigung sowie Abbremsen auf und die Zeiteinheiten unterteilte man bis auf Tausendstel Bruchteile von Minuten. So ist etwa die Augenerfassungszeit (Eye Focus) absurderweise nicht nur gemessen, sondern mit 7,3 T.M.U. (Time Measurement Unit) exakt angegeben. Die M.T.M. (Methodes Time Measurement) Assoziation for Standards and Research Ann Arbor, Michigan definiert dabei eine T.M.U. als Hunderttausendstel einer Stunde gleich sechs Zehntausendstel einer Minute oder sechsunddreißig Tausendstel einer Sekunde.
Zweck von dieser Messungen, Verfeinerungen und Präzisierungen ist es, den menschlichen Faktor in die Arbeitsplanung einzupassen oder – anders ausgedrückt – den Menschen als Funktion im Unternehmen abzubilden. Es wird daran gearbeitet, menschliche Wesen als Maschinenelemente darzustellen. Anwendung finden die sogenannten Threblig-Systeme in allen Arbeitsablaufplanungen, sowohl im Büro wie in der Produktion. In diesen Bestrebungen wird menschliche Arbeit vom Menschen, von ihrem Subjekt, getrennt und in ein Objekt, in eine vollständig mess-, steuer- und kontrollierbare Sache, umgeformt. In Deutschland stehen die Arbeiten der REFA – gegründet als Reichsausschuss für Arbeitszeitenermittlung – für dieselben Inhalte.
Hallo hier schreibt Einer der lange, bis heute, am eigenen Leibe die „Zeitschinderei“ erlebt hat und dessen Körper gerade jede kontinuierliche Arbeit zum Risiko macht, weil er manchmal nicht mehr „funktionieren“ will. Schon zu DDR-Zeiten hatte ich große Debatten zu dem Thema, weil es gerade bei körperlicher Arbeit den Grundwert eines „Durchschnittsmenschen“ annimmt und damit alle unter dem „Durchschnitt“ liegenden Menschen sehr stark benachteiligt. Hinzu kommen Arbeitsprozesse die sich eigentlich nicht erfassen lassen, z.B. Restauration, die unter den heutigen erzeugten Preisdruck erheblich in Mitleidenschaft gezogen werden und als Konsequenz oft historische Güter vernichtet, weil sie nicht in den Kostenrahmen passen.
Hallo zusammen,
ich bin sehr erfreut darüber, dass dieses Buch hier gepostet wird und würde mir wünschen, auch wenn ich erst die ersten 3 Kapitel gelesen habe, dass sich möglichst viele Leser zusammenfinden. Die Überzeugung, dass sich die Welt im Umbruch befindet reift schon seit einigen Jahren in mir und auch ich habe damit begonnen, meine eigenen Ideen und Gedanken dazu zu veröffentlichen. Die Fertigstellung meiner eigenen privaten Website/Blog werde ich nun schneller vorantreiben, um auf diese hier verlinken zu können. Auch wenn ich sicher anfangs sehr wenig Zugriffe haben werde. 😉
Hallo Herr Schwemmle,
vielen Dank für die aufmunternden Worte. Gerne können Sie die Seite, bis ihr Blog steht, via Mundpropaganda, Mail oder was auch immer Ihnen einfällt in die Welt tragen. Was natürlich Ihre Schaffenskraft für die eigene Webseite nicht beschränken soll!
Gruß
Gebhard Borck